Das 5-Minuten-Grauen
keuchte sie. »Warum denn nicht? Bitte, hol mich hier heraus.«
Die Kraft des teuflischen Stundenglases kannte kein Pardon. Eiskalt zog sie Rita Wilson tiefer in die magische Sphäre hinein, und der weiche, gläserne Rand berührte schon beinahe ihr Kinn.
Noch ein kurzer Ruck, dann…
Sie hatte es nicht gewollt, sie schaute trotzdem nach unten und mußte wegen des schlechten Blickwinkels dabei schielen.
Bis zum Grund der zweiten Stundenglashälfte konnte sie schauen und sah dort den breiten, schwarzen Fleck.
Das war sie!
Um ihren Körper herum zitterte und waberte das weich gewordene Glas. Die Innenränder preßten sich gegen sie, sie raubten ihr auch das letzte Quentchen Luft.
Dann rutschte auch ihr Kinn über den Rand, und sie öffnete noch einmal den Mund zum letzten Atemzug vor ihrem qualvollen Tod…
***
Ich stand da, zitterte und konnte es nicht glauben!
In diesen langen Augenblicken überfiel mich ein wahnsinniger Haß auf die vier Frauen, denen es so gar nichts ausmachte, das Leben einer jungen Frau zu vernichten.
Leben und Tod…
Diese beiden Begriffe wirbelten durch meinen Kopf. Ich dachte daran, daß ich schon zu viele Niederlagen erlitten hatte. Oft genug hatte ich es mit Personen zu tun gehabt, die unfreiwillig in den schwarzmagischen, mörderischen Kreislauf hineingeraten waren, aber das sollte sich nicht wiederholen.
Okay, ich hatte des öfteren das Leben unschuldiger retten können. Leider hatte ich auch oft genug das Nachsehen gehabt. Da war die andere Seite stärker gewesen.
Hier auch?
Alles wies darauf hin. Ich schaute gegen das Glas, und andere Bilder zuckten vor meinen Augen auf.
Ich sah die Gesichter der Personen, die ich nicht vor einem Tod hatte bewahren können.
Judie Glasstone, das Madchen, das seine Pferde so liebte, befand sich auch dabei. Und jetzt Rita Wilson!
Es kroch wie die Berührung von Totenfingern meinen Rücken hoch. Nein, und abermals nein. Ich wollte es versuchen, ich mußte dieses riesengroße Wagnis einfach eingehen, denn ich besaß meine Waffen, Rita Wilson nicht.
Zwei Schritte trennten mich von der verdammten Fläche, in die Rita längst hineingesunken war und den Kopf nach hinten gedrückt hatte, wobei ich nicht einmal wußte, ob sie mich überhaupt wahrnahm. Sie — ich oder beide?
Ich wagte es. Sekunden später stand ich auf der verdammten Glasfläche, spürte den Widerstand, dann sackte ich langsam ein…
***
Sie schritt die breite Treppe hinab wie eine Königin, deren Soldaten auf dem Schlachtfeld einen großen Sieg errungen hatten. So ähnlich fühlte sich Flora auch, die mit ihrer Handfläche über das runde Geländer hin wegstrich, ohne sich daran festhalten zu müssen, denn die Erfolge der letzten Zeit hatten ihr Sicherheit gegeben. In der Halle wurde sie von Clara und Erica erwartet. Letztere erhob sich aus dem Sessel, als sie Flora erkannte.
Mit beiden Händen strich sie die Falten ihres langen Kleides glatt, als wollte sie sich für einen Mann in Positur stellen. Sie sah gelackt aus wie immer. Das Haar glatt nach hinten gekämmt, der Knoten stand am Nacken ab, als wäre er mit Leim dort befestigt worden. Auf den schmalen, etwas zu dünnen Lippen lag ein erwartungsvolles Lächeln.
Die weißhaarige Clara stand ebenfalls auf, und beide Frauen erwarteten von Flora weitere Anweisungen. Sie schritt auch weiterhin den Rest der Treppe gravitätisch hinab und blieb vor der ersten Stufe stehen, um einen Blick durch die Halle zu werfen.
In ihrem Gesicht zuckte nichts, sie schaute sich nur um, dann fragte sie:
»Wo ist Georgette?«
Clara und Erica hoben zugleich die Schultern. »Wir wissen es nicht, wir dachten, du würdest sie mitbringen. Ist sie denn nicht bei dir gewesen?«
»Nein.«
»Das tut uns leid«, flüsterte Erica. »Dann wissen wir auch nicht Bescheid, wirklich nicht.«
Flora runzelte die Stirn. Etwas unsicher wirkte sie in diesem Moment.
»Habt ihr eine Ahnung, wo sie sich aufhalten und was passiert sein könnte?«
Die Angesprochenen überlegten.
»Sinclair!« flüsterte Erica.
»Wie meinst du das?«
»Ist es nicht möglich, daß sie ihm begegnete und er sie überwältigen konnte?«
Flora überlegte. Sie nickte, obwohl ihr Gesichtsausdruck besagte, daß sie diese von Erica ausgesprochene Tatsache nicht akzeptieren wollte.
»Jede von uns hat genau gewußt, was sie tun sollte, auch wenn eine auf Sinclair trifft.«
»Man sollte ihn nicht unterschätzen!« warnte Clara.
»Hör auf, Waschweib. Wir besitzen als Beschützer den
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