Das 5-Minuten-Grauen
Vielleicht hat er noch gesehen, wie seine kleine Freundin verging. Möglicherweise hat er auch versucht, sie zu retten.«
»Was ihm kaum gelingen wird«, meinte Erica. Sie grinste dabei mehr als süffisant.
»Eben.«
»Wir sollten nachschauen!« schlug Clara vor.
»Richtig.« Flora nickte.
»Und wo?«
»Im Keller.«
Der Vorschlag wurde akzeptiert. Plötzlich sahen die drei Frauen wieder Land. Sie hatten endlich eine Aufgabe zu erfüllen und konnten zeigen, was in ihnen steckt.
Obwohl Clara die Idee gekommen war, übernahm Flora die Führung. Die Hackordnung mußte eben eingehalten werden. Mit zügigen Schritten durchquerten sie die Halle und gingen hintereinander ihrem Ziel entgegen. Sie hatten wieder Blut geleckt und ihre Antennen auf Sieg gerichtet. Niemand würde ihnen etwas nehmen können, das stand fest. An der Kellertür blieb Clara stehen.
»Los, öffne sie!«
Clara gehorchte. Sehr vorsichtig zog sie die Tür auf. Vor ihnen entstand eine Lücke zwischen Rahmen und Türkante. Sie lugte in das Dunkel, zog den Kopf wieder zurück und schüttelte ihn.
»Wir könnten Kerzen mitnehmen«, meinte Erica.
»Unsinn, wir kennen uns aus.« Flora schob die Freundin zur Seite, um selbst nachzuschauen.
Auch sie konnte nicht mehr sehen als Clara. »Wir kennen den Weg«, wisperte sie, »und wir werden ihn im Dunkeln gehen. Aber leise, wenn ich bitten darf.«
Niemand widersprach. Clara und Erica durften zwar Vorschläge machen, die Entscheidung, ob sie angenommen wurden oder nicht, blieb jedoch Flora überlassen.
Diesmal übernahm die Chefin die Führung. Für einen Fremden wäre das Begehen der Treppe im Dunkeln lebensgefährlich gewesen, nicht für die Frauen, die hier zu Hause waren. Sie bewegten sich so sicher, als wäre die Treppe hell erleuchtet.
Die Kühle des Kellers strich über ihre Haut. Davon ließen sie sich nicht irritieren. Sie wußten genau, was sie zu tun hatten. Am Fuß der Treppe stoppte Flora.
Hinter ihr lachte Erica. »Ich sehe Licht…«
»Ja, es fällt von oben.«
»Die Falle!« kicherte Erica leise.
»So scheint es zu sein.«
Der Schein lag links von ihnen und breitete sich dort aus wie ein weicher Schleier, der sich ebenso weich auf dem Boden verteilte und in dem zahlreiche Staubpartikel glänzten.
Flora ging wieder vor. Sie hatte die rechte Hand zur Faust geballt, als wollte sie sich durch diese Geste Mut machen. »Das Stundenglas schafft es!« keuchte sie. »Ich weiß, daß es diesen verdammten Polizisten schafft, wenn er Kontakt bekommen hat. Der Teufel läßt uns nicht im Stich, er hat uns das Glas überlassen, er…«
»Und nimmt sich die Seelen der Opfer!« wisperte Clara hinter ihr aus dem Dunkel.
»So ist es.«
Sie hüteten sich, zu laute Geräusche zu machen. Wenn sie gingen, hoben sie die Füße ziemlich hoch, um sie dann sehr vorsichtig wieder abzusetzen.
Allmählich verließen sie ihre dunkle Insel und näherten sich der rötlich gelben.
Flora drehte noch einmal den Kopf. Schattenhaft erkannte sie ihre beiden Freundinnen, die sich wie Hexen auf dem Kriegspfad bewegten. »Na, wie fühlt ihr euch?«
»Gut, Darling!« kicherte Erica, »wunderbar. Ich für meinen Teil habe ein wunderbares Gefühl.«
»Ich ebenfalls!« bestätigte Clara.
Flora hielt sich zurück. Sie konnte nicht zustimmen — oder doch? Sie ging plötzlich schneller, weil sie den Ort des Geschehens unbedingt erreichen mußte.
Dann war sie da!
Unter dem Licht und auch unter dem Stundenglas blieb sie stehen, hob beide Arme und krallte die Finger so schief und hart in das braune Haar, daß sich der Knoten von selbst löste. Strähnen fielen wie zitternde Aale nach unten.
»Nein!« keuchte Erica, als sie sah, was über ihr geschah.
Clara gab auch ihren Kommentar. »Beide sind drin.«
»Aber einer lebt noch!« keuchte Flora. »Der verfluchte Polizist!«
***
Sie hatte recht, ich lebte noch!
Es gehörte zu den Phänomenen oder Wundern, die man rational nicht erklären konnte. Doch wenn der Teufel seine Hand mit im Spiel hatte, verwischte die Realität sowieso. Ich war eingetaucht. Zu beschreiben war mein Gefühl dabei nicht. Vielleicht eine Mischung aus Erfolgserwartung und das gleichzeitige Abdanken des Lebens. Irgendwo war es grauenhaft!
Den Vorgang selbst konnte ich persönlich nicht beschleunigen. Ich mußte mich dabei auf die Kräfte des Stundenglases verlassen, die in einem bestimmten Tempo ihre Opfer anzogen.
So sank ich ein.
Schienbeine, Oberschenkel, die Hüfte, dann auch die Brust, und
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