Das 5-Minuten-Grauen
hielt sie steif. Wie Stöcke hingen sie an beiden Seiten ihres Körpers nach unten. Hatte sie überhaupt begriffen, in welch einer Lage sie steckte?
Trotzdem überwand sich Rita selbst und senkte den Blick. Sie wollte einfach sehen, wo sich ihre Schuhe befanden, die Knöchel, die Knie und mehr.
Bis zu den Knien steckte sie bereits innerhalb des gefahrlichen Stundenglases.
Auf ihrem Körper lag dick die Gänsehaut. Angst durchflutete sie wie die Wellen eines Meeres. Sie zwinkerte mit den Augen, weil ihr der Schweiß hineingeronnen war, schielte einmal gegen die Decke, als wollte sie dort nach Hilfe suchen.
Nichts geschah. Nur das Licht blieb weiterhin in gleicher Stärke und zeigte ihr sehr deutlich den weiteren Weg in das Stundenglas des Teufels.
Sie sank hinein. Eine Kraft schien von oben her auf ihren Kopf zu drücken und dafür zu sorgen, daß dieses verdammte Stundenglas sie immer weiter schluckte.
Bewegen konnte sie sich nicht, und sie kam sich vor wie in einem Gefängnis. Da gab es kein Entkommen, die andere Kraft war einfach zu stark. Wie eine mächtige Faust, die sie umschlossen hielt. Rita glitt tiefer…
Es war ein fach nicht zu fassen, es war grauenhaft und furchtbar. Sie bekam Luft — nur, wie lange noch.
Hektisch atmete sie ein, und ebenso hektisch stieß sie die Luft wieder aus. Eigentlich hätte sie klar sehen können, doch alles verschwamm vor ihren Blicken.
Da wurden die dunklen Türen und die hellen Wände dazwischen zu zuckenden, tanzenden Schattenbildern, die ineinanderliefen. Sie empfand es als schlimm, daß sie dem Grauen selbst keinen Widerstand mehr entgegensetzen konnte. Obwohl sie versuchte, die Beine aus der weichen Glasmasse hervorzuziehen, war das für sie ein Ding der Unmöglichkeit.
Das Glas hielt sie fest.
Und Rita sah, daß es sich zur anderen Hälfte hin verengte. Erst kurz vor dem schmalen Verbindungsstück hörte diese Form auf. Die schmale Röhre sah sie überdeutlich.
Dieser Anblick erinnerte sie wiederum daran, daß sich ihr Körper sehr bald auflösen würde und zu einer Masse aus Schlamm wurde. So dicht, so zäh und dennoch derartig gleitfähig, um durch die Lücke rinnen zu können.
Dabei war sie einmal ein Mensch gewesen…
Mein Gott, dachte sie, ich rede schon in der Vergangenheit, dabei lebe ich noch, ich will leben!
Dann tat sie etwas, das sie schon lange nicht mehr getan hatte. Sie faltete die Hände und betete. Die Worte verstand sie selbst nicht. Vielleicht waren sie sogar in der Kindersprache formuliert, aber was machte das schon?
Während Rita betete, sank sie tiefer ein. Das Glas hatte längst ihre Gürtelschnalle erreicht, es würde sie auch weiter überspülen, nur konnte sie seltsamerweise ihre Füße noch bewegen, wobei der übrige Körper einfach steif geworden war.
Da merkte sie das Ziehen. Direkt an ihren beiden Füßen, als hätte dort jemand gezupft.
Es war aber keine Hand vorhanden, nein, mit beiden Füßen war sie in die Lücke hineingerutscht.
Und genau dort bekam sie die Magie des Glases voll zu spüren. Wie unter einem Zwang stehend schaute sie hin. Sie wollte es eigentlich nicht und kam sich vor wie eine Masochistin.
Rita sah…
Ihre Füße hätte sie eigentlich erkennen müssen, aber das waren sie nicht mehr. Genau dort, wo sie sich hätten befinden müssen, erkannte sie ein dunkle, zähe, teerartige Flüssigkeit, eben diesen verfluchten Schlamm, der sich aus ihren Beinen gebildet hatte und in dicken Tropfen auf den Boden des zweiten Glases rann.
Für Rita Wilson war so etwas unfaßbar!
Sie schrie nicht einmal. Es war schauderhaft, sie fand keine Erklärung für diese Dinge, während der verfluchte Schlamm immer mehr Nachschub bekam und Rita fertigmachte.
Sie preßte ihren Kopf zurück und auch den Oberkörper. Das Gesicht war nur mehr eine blasse Maske, auf dem der Schweiß seine perlenden Spuren hinterlassen hatte.
Ihr Atem drang fauchend aus dem Mund. Das Blut rann zwar durch ihre Adern, nur hatte sie den Eindruck, als wäre es viel dicker geworden als sonst. Rita war verzweifelt. Das Glas berührte jetzt beinahe ihre Brust. Ein Großteil des Körpers hatte sich bereits aufgelöst. Seisamerweise stellte sie sich die Frage, was noch geschehen würde. Ob sie auch als Teil des Schlamms noch so denken und fühlen wie als Mensch?
Sie wußte es nicht. Ihre Gedanken bewegten sich um die Person des John Sinclair. An ihm mußte sie plötzlich denken. Ob ihn vielleicht ein gleiches Schicksal erwartete?
»Warum kommst du nicht?«
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