DAS 5. OPFER
»Wie ironisch.«
»Was?«, sagte Reggie und hielt eine Sekunde inne.
»Der Gedanke, von einer Klinge gerettet zu werden.«
Vorsichtig benutzte Reggie ihren Fuß, um das Tablett und alles, was sich darauf befand, klappernd über den Zementboden zu sich zu zerren. Sie krümmte und verrenkte sich, zog das Tablett näher an ihren Körper. Als es nah genug war, rollte sie sich auf die rechte Seite, ihre verletzte Hüfte schrie vor Schmerz, als sie über den rauen Betonboden rieb. Sie zog ihre Knie zu ihrer Brust hinauf, um die Gegenstände zusammenzuhalten, während sie sich wie der gekrümmte Zeiger einer Uhr drehte. Ticktack. Ticktack. Sie hatte fast eine halbe Drehung geschafft, befand sich in der Elf-Uhr-Position, ungefähr so weit, wie sie gehen konnte, ohne gegen die Wand zu stoßen.
Dort, gleich zu ihrer Rechten, lag eine weitere Obststeige –El Diablo Orangen, Sao Paulo, Brasilien. Ein roter Teufel lächelte sie an, zeigte mit seiner Forke auf sie.
Der alte Beelzebub.
Sie wusste, dass sie nur einen Versuch haben würde. Sie prüfte die Bahnkurve, stellte sich die unsichtbare Linie zwischen der Säge und dem Skalpell auf dem Tablett und ihren gefesselten Händen vor. Schließlich atmete sie ein und trat, mit der Kraft ihres ganzen Körpers, mit ihren Knien nach oben aus und stieß die Werkzeuge vom Tablett. Sie traf das Skalpell im perfekten Winkel, sodass es über den Zement rutschte, und hörte, wie es gegen die Metallwand schlug. Sie konnte sich nicht umdrehen und es sehen, und betete nur, dass es nicht außerhalb ihrer Reichweite gehüpft war. Die Säge war jetzt auch näher – sie konnte sie gerade so eben sehen, wenn sie ihren Kopf böse verdrehte, aber es sah aus, als befände sie sich außer Reichweite. Sie schob sich selbst zurück in Richtung Wand und begann, hinter dem Pfosten zu herumzutasten. Ihre Fingerspitzen streiften gerade noch die Schneide der Säge, konnten sie aber nicht näher zu ihr hin bewegen.
»Mist!«, sagte sie und versuchte, sich zu auszustrecken, stellte sich vor, ihr Körper wäre ein Gummiband. Es hatte keinen Zweck. Sie gab auf und begann, nach dem Skalpell zu suchen, verzweifelt krochen ihre Finger spinnenartig am erreichbaren Rand der Wand hinter ihr entlang. Wo zum Teufel war es?
Ihre Fingerspitzen tanzten suchend über den Boden. Endlich fühlte sie es: ein schlanker Zylinder aus kaltem Metall, der zwischen dem Boden und der Wand eingeklemmt war. Sie arbeitete sich mit ihren Fingern zu seinem Ende vor, nur um festzustellen, dass es das falsche Ende war, als sie danach griff und den Stich der Klinge spürte.
Einfach so war sie wieder dreizehn, saß auf dem Dachboden mit Tara, die eine Rasierklinge in der Hand hielt, die feucht war von ihrem eigenen Blut. Sie erinnerte sich an ihr heimliches Vergnügen darüber, eine solche Erleichterung zu fühlen, als Tara die scharfe Klinge über ihre Haut zog: dieser erhebende Moment, als es nichts anderes auf der Welt gab, als sie und ihren Schmerz; keine Mutter, die von einem Serienmörder gefangen gehalten wird, kein geheimes Verlangen nach Charlie, nichts. Nur der Schmerz und die Art, wie er sie tief in sich selbst hineinzog, an einen Ort perfekter Ruhe.
Reggie erlaubte sich, mit ihren Fingern noch einmal über die Schneide des Skalpells zu fahren, fühlte den Kuss der Klinge, die ihren Geist von allem anderen befreite, und das war eine so wunderbare Erleichterung.
»Wie läuft es da drüben?«, fragte Tara.
»Ich werde uns im Nu hier rausbringen«, versprach Reggie.
Sie nahm einen tiefen Atemzug und streckte sich nach dem Griff des Skalpells, mit Fingerspitzen, die klebrig waren von ihrem Blut. Sie fummelte mit dem Skalpell herum, bis es ihr gelang, es im richtigen Winkel zu haben, um das Klebeband zu zerschneiden. Es war eine langwierige Prozedur, selbst mit einer scharfen Klinge, die ungelenke Über-Kopf-Stecherei und die Sägebewegungen. Endlich schaffte sie es, durchzukommen, und ihre Hände waren frei.
Ihr Telefon klingelte erneut.
Sie setzte sich auf, hoppelte über den Boden zu ihrer Tasche und nahm ab.
»Reggie«, sagte Len. »Ich bin hier bei deiner Tante. Wo zur Hölle bist du? Wir waren kurz davor, die Polizei zu rufen.«
»Hör mir gut zu. Du musst 911 anrufen. Sag ihnen, dass Tara und ich in einer alten Wellblechhütte ein paar Kilometer westlich des Flughafens festgehalten werden. Sie gehört Monahan Obst- und Gemüse. George Monahan ist Neptun.«
»O mein Gott, Reggie«, sagte Len.
»Beeil dich«,
Weitere Kostenlose Bücher