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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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würde.«
    »O Gott«, flüsterte Reggie.
    »Ja. Er brachte ihr Essen, Zigaretten, Alkohol. Sie war nicht eingesperrt oder so was – aber sie hatte zu viel Angst, um zu gehen. Er brachte ihr ein Mobiltelefon, wählte deine Nummer und ließ sie deine Stimme hören, wenn du abnahmst. Das war die Art, wie sie wusste, dass er sein Wort hielt und es dir fürs Erste gut ging. Und es war außerdem eine Drohung, die ihr zeigte, dass er genau wusste, wie er dich finden konnte.
    »Das war sie«, sagte Reggie und erinnerte sich an all die Telefonanrufe über die Jahre, das seltsame Atmen am anderen Ende, das Gefühl, das sie gehabt hatte, dass die Person am anderen Ende der Leitung kurz davor war, etwas zu sagen.
    »Aber wie ist sie schließlich entkommen?«, fragte Reggie.
    Tara lachte rau.
    »Er ließ sie gehen. Ich schätze, es wurde ihm zu viel, sie all die Jahre dort im Geheimen unterzubringen. Und natürlich war sie keine Schönheitskönigin mehr, sie war krank und verrückt, machte mehr Arbeit als jemals zuvor. Lorraine brauchte ihn mehr und mehr, begann Fragen über all seine Fahrten zu stellen. Er setzte sie selbst an dem Obdachlosenasyl ab, schwor, dass er, falls sie auch nur ein Wort über ihn oder darüber, wer sie wirklich war, sagen würde, sich dich holen würde.«
    Der Gedanke, was ihre Mutter alles getan hatte, um sie zu beschützen, erstaunte Reggie; der Gedanke, dass Liebe so stark sein konnte. Vera hatte ihr eigenes Leben geopfert, ihre eigene geistige Gesundheit, um sie zu retten.
    Reggie hörte ihr Mobiltelefon klingeln. Sie drehte sich um und sah, dass ihre Lederumhängetasche auf der anderen Seite des Gebäudes in der Nähe der Schiebetür auf den Boden geworfen worden war. Völlig außer Reichweite.
    Reggie testete die Stärke des Klebebandes, das ihre Handgelenke zusammenhielt, auf der anderen Seite des Eisenrohrs. Es gab keine Möglichkeit, es durchzubekommen. Was sie brauchte, war etwas Scharfes. Ihr Blick wanderte zu den etwa eineinhalb Meter von ihr entfernten, auf dem Metalltablett ausgelegten Geräten: Skalpellen, einer Säge, Metallspatel, Propanlötlampe, Klammern und Verbänden. Es war ein kühner Schachzug seinerseits, sie draußen liegen zu lassen. Er hatte es getan, um ihr Angst zu machen, ihr einen Vorgeschmack darauf zu geben, was kommen würde. Aber er hatte einen kritischen Fehler in seiner Beurteilung gemacht. Wenn es etwas gab, in dem Reggie gut war, dann waren es Geometrie, räumliche Zusammenhänge, sich den Radius eines Kreises vorzustellen. Sie sah Muster, die andere Leute nicht sahen, unsichtbare Linien, Ebenen von Bahnkurven. Sie wusste, dass das Tablett mit den Geräten nicht außerhalb ihrer Reichweite war.
    Das Telefon hörte auf zu klingeln.
    Reggie begann, sich in einer Bewegung im Uhrzeigersinn vorzuarbeiten, ihre Füße schoben sie an, mit angehobenen Hintern, den gefesselten Armen, die sich um das Rohr drehten. Ihr ganzer Körper summte vor Schmerz. Sie versuchte, ihren Kopf zu heben, um ihren Fortschritt zu sehen, schaffte es aber nicht. Sie schob sich weiter, langsam, vorsichtig.
    Sie dachte an Spiralen und Kurven, die Umlaufbahn von Planeten. Daran, wie Len ihr gesagt hatte, dass sie Neptun in ihrem zwölften Haus hatte, dass sie das zu einer großartigen Architektin machte, aber auch das Potenzial besaß, sie an den Rand des Wahnsinns zu bringen.
    Sie dachte daran, wie ihre Mutter immer gesagt hatte, dass alle durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden waren, dass alle auf eine Weise aneinander gebunden waren, die man sich nie auch nur vorstellen können würde.
    Sie fühlte diese Fäden jetzt, die sie mit ihrer Mutter, mit Tara, mit den anderen Frauen, die Neptun getötet hatte, verbanden; Frauen, die in ihren letzten Momenten auf der Erde zu derselben Decke aufgeblickt hatten.
    Sie kam langsam voran, krümmte sich und bäumte sich auf, wie ein Käfer, der auf eine Nadel gespießt wurde, aber schließlich berührte sie etwas. Ihr rechter Fuß traf das Tablett voller Werkzeuge mit einem befriedigenden, metallischen Klicken.
    »Was machst du da, Dufrane?« Tara hatte wieder ihren Kopf gehoben, sah sie mit einem geöffneten Auge an; das andere war so gut wie zugeschwollen.
    »Ich mache das Unmögliche möglich.«
    »Wie?«
    »Wenn ich diese Sachen hier nur bewegen kann, die Säge, das Messer oder das Skalpell dahin bekomme, wo ich sie mit meinen Händen erreichen kann, dann kann ich mich losschneiden.«
    Tara lachte, wobei sie ein zischendes Geräusch machte.

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