DAS 5. OPFER
die Schulter. »Mach schon. Sag es ihm.«
Reggie blickte über ihre Schulter zurück, um sicherzugehen, dass keine Reporter zuhörten. Sie standen immer noch in einer dichtgedrängten Menge an den Eingangstüren, wo sie von einem Beamten zurückgehalten wurden, der ihnen bald eine weitere Pressekonferenz versprach.
Reggie räusperte sich.
»Ich weiß, wer sie ist. Die Narben befinden sich hauptsächlich zwischen Daumen und Zeigefinger, richtig? Sie stammen von einem Hundebiss.«
Der diensthabende Sergeant betrachtete die drei Jugendlichen einen Augenblick, wandte sich dann um, nahm das Telefon ab und murmelte etwas hinein. Eine Minute später öffnete sich eine Seitentür und Stu Berr erschien. Er war immer ein kräftig gebauter Mann gewesen, aber Reggie konnte sehen, dass er zugenommen hatte, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Seine dunkelblaue Anzugjacke war zugeknöpft, spannte aber um seine Mitte. Sein Gesicht war rötlich und aufgedunsen, seine Augen klein und blutunterlaufen, mit dunklen Ringen darunter. Er hatte einen Schnurrbart und Haar, das begann, grau zu werden.
»Detective Berr!«, rief einer der Reporter, schob sich an dem uniformierten Polizisten im Korridor vorbei und kam auf sie zu. »Wissen Sie, wem die Hand gehört?«
Stu warf ihm einen angewiderten Blick zu. »Wenn Sie nicht in dem Bereich bleiben können, der für die Presse reserviert ist, werde ich Sie aus dem Gebäude begleiten lassen.«
»Aber die Hand – die Narben …«
»Officer MacMillan«, rief Stu dem uniformierten Polizisten zu, »bitte sorgen Sie dafür, dass dieser Herr aus der Wache entfernt wird.« Er sah zu, wie der Reporter das Gebäude durch die Doppeltür verließ, wandte sich dann um und ihnen zu.
»Hallo Charlie«, sagte er. Er betrachtete Reggie einen Augenblick blinzelnd. »Regina? Schön dich wiederzusehen.« Dann bewegten sich seine Augen weiter zu Tara, schienen sich dabei zu verengen. »Hallo, Tara«, sagte er.
Tara streckte ihm ihre Hand hin. »Nett, Sie wiederzusehen«, sagte sie, ihre Stimme war munter und fröhlich. Er schüttelte ihre Hand mit einem verblüfften und wachsamen Gesichtsausdruck. Tara bewegte seine Hand auf und ab, ihr ganzer Körper hüpfte dabei, als hätte sie eine riesige Feder in sich.
»Stokes sagt, dass ihr Informationen habt«, sagte er und wich vor Tara zurück.
»Das neueste Opfer«, sagte Tara. »Wir wissen, wer sie ist. Die Hand war wegen eines alten Hundebisses vernarbt.« Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung.
Stu Berr zeigte keine Reaktion, betrachtete nur Tara einige Sekunden lang, bevor er wieder sprach.
»Also, wer ist sie? Dieses Mädel, das ihr kennt, mit dem Hundebiss.«
Tara stupste Reggie an, auf eine Weise, die mehr ein Rempeln als ein Rippenstoß war. »Erzähl es ihm, Reg. Erzähl ihm alles.«
Stu Berr drehte sein großes, pausbäckiges Gesicht von Tara zu Reggie.
Reggie atmete tief durch und fing an zu sprechen. »Ich denke, es ist meine Mutter, Vera Dufrane.« Stu Berr sah Reggie an, überblickte dann den Eingangsbereich. Die Reporter hielten Abstand, aber Stu ging kein Risiko ein. Er zog die Kinder weiter nach hinten in den Korridor hinein zu einer Bank, und Reggie musste sich neben ihn setzen. Es war dieselbe Bank, auf der Reggie zurückgelassen worden war, als sie fünf war und Lorraine zur Wache gekommen war, um Vera abzuholen.
»Warum glaubst du das?«, fragte der Detective mit leiser Stimme.
»Die Narben sind zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger, oder? Ein Hund griff mich an, als ich fünf war, sie zog ihn von mir weg, und ihre Hand wurde völlig zerfetzt. Sie konnte nach dem Unfall nie wieder ihren Zeigefinger beugen. Der Hund …« Reggie griff nach oben und berührte ihr neues Ohr, fühlte die Narben dahinter.
Ein Licht schien in Stu Berrs Augen anzugehen, ließ sie in dem dämmrigen Korridor glitzern.
Sie fragte sich, ob Stu sich erinnerte, ob er jemals die Hand ihrer Mutter gesehen hatte. Sie versuchte sich an eine Zeit zu erinnern, in der sie Charlies Dad und ihre Mom jemals zusammen gesehen hatte, und konnte es nicht. Sie konnte vor sich sehen, wie ihre Mom ein paar Mal mit Charlies Mom redete, bei Geburtstagsfeiern und Schulveranstaltungen, aber Charlies Dad war nie dabei gewesen. Und Vera trug in der Öffentlichkeit gewöhnlich Handschuhe, um ihre zerstörte Hand zu verstecken. Die Leute dachten, dass sie auf altmodische Weise schick war.
Stu Berr zog einen kleinen Block aus der Vordertasche seiner Jacke und schrieb
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