Das 9. Urteil
heruntergekommenen Häuschen im Mission District.
Es war beinahe Abendbrotzeit, und seine eigenen kleinen Blagen machten bestimmt schon dicke Backen und waren kurz davor, Alarm zu schlagen. Dann stand er vor der Haustür, hatte die Schlüssel schon in der Hand, schloss auf und verpasste der Tür einen Tritt.
Sofort konnte er den Gestank der Babywindeln riechen. Der kleine Stinker stand im Laufstall, hielt sich am Geländer fest und fing an zu schreien, sobald er seinen Papa sah.
»Daddy!«, rief Sherry. »Er braucht frische Windeln.«
»Geht klar«, erwiderte Pete Gordon. »Halt die Klappe, Stinkbombe«, wandte er sich dann an den Jungen. »Bin gleich da.« Er nahm seiner Tochter die Fernbedienung aus der Hand und schaltete um – keine Zeichentrickfilme mehr, sondern Nachrichten.
Die Börsenkurse waren gefallen, die Ölpreise gestiegen. Das Neueste aus Hollywood. Aber kein Wort über zwei Leichen im Parkhaus der Stonestown Galleria.
»Ich hab Hunger«, sagte Sherry.
»Was ist zuerst dran? Essen oder Windeln?«
»Windeln«, sagte sie.
»Also gut.«
Pete Gordon nahm das Kleine, das ihm so viel bedeutete wie ein Sack Zement, auf den Arm. Er war sich ja nicht einmal sicher, ob es wirklich von ihm war, und selbst wenn, war es ihm egal. Er legte ihn auf den Wickeltisch und spulte das übliche Programm ab, hielt ihn an den Knöcheln fest, wischte ihn ab, stäubte ihm den Hintern mit Puder ein, wickelte ihn in eine Pampers und packte ihn zurück in den Laufstall.
»Würstchen mit Bohnen?«, fragte er seine Tochter.
»Mein Lieblingsessen«, erwiderte Sherry und steckte sich einen ihrer Rattenschwänze in den Mund.
»Zieh der Stinkbombe noch was über«, sagte Pete Gordon, »damit deine Mutter keine Gasvergiftung kriegt, wenn sie nach Hause kommt.«
Gordon stellte irgendeinen Babyfraß für die Stinkbombe in die Mikrowelle und machte eine Büchse mit Würstchen und Bohnen auf. Er schaltete den Küchenfernseher und den Backofen ein – was eigentlich Aufgabe der treuen Ehefrau gewesen wäre, dieser Schlampe – und kippte den Büchseninhalt in einen Topf.
Die Bohnen waren gerade heiß geworden, da kam die Eilmeldung.
Aha. Sieh mal an , dachte Pete.
Irgendein Knallkopf von ABC stand mit einem Mikro in der Hand vor Borders. In seinem Rücken drängelten sich irgendwelche College-Studenten, während er in die Kamera sagte: »Wir haben soeben erfahren, dass im Stonestown-Parkhaus Schüsse gefallen sind. Angeblich soll es dort zu einem fürchterlichen und unfassbaren Doppelmord gekommen sein. Wir halten Sie auf dem Laufenden, sobald weitere Einzelheiten bekannt gegeben werden. Zurück zu Ihnen, Yolanda.«
4
Yuki Castellano verließ ihr Büro und rief an der Reihe der Büroabteile entlang nach Nicky Gaines. »Bist du so weit, Wonder Boy? Oder kommst du nach?«
»Bin ja schon da«, erwiderte Gaines. »Wer sagt denn, dass ich nicht mitkommen will?«
»Wie sehe ich aus?«, wollte sie wissen, während sie auf den Fahrstuhl zuging, der sie aus dem Bürotrakt der Staatsanwaltschaft in den Gerichtssaal bringen sollte.
»Absolut furchterregend, Batwoman. Die schärfste Multi-kulti-Braut der USA .«
»Ach, sei still.« Sie lachte ihren Schützling an. »Aber mach dich drauf gefasst, dass du mir das richtige Stichwort gibst, falls ich einen Blackout habe, was Gott verhüten möge.«
»Du hast garantiert keinen Blackout. Du wirst dafür sorgen, dass Jo-Jo hinter Gitter wandert.«
»Meinst du?«
»Ich weiß es. Du nicht?«
»Mm-hmm. Ich muss bloß dafür sorgen, dass die Geschworenen das auch wissen.«
Nicky drückte auf die Fahrstuhltaste, und Yuki versank in Gedanken. In rund zwanzig Minuten würde sie ihr Abschlussplädoyer im Prozess gegen Adam »Jo-Jo« Johnson halten.
In ihrer Zeit bei der Staatsanwaltschaft hatte sie schon mehr als genug undankbare Fälle bearbeiten müssen. Sie hatte Achtzehn-Stunden-Schichten geschoben, hatte viel Lob von ihrem Chef, Leonard »Red Dog« Parisi, eingeheimst und reichlich Punkte bei den Geschworenen gesammelt. Alles das hatte ihr jedes Mal große Hoffnungen gemacht.
Und dann hatte sie verloren.
Langsam, aber sicher wurde Yuki berühmt für ihre Niederlagen – und das stank ihr gewaltig, denn sie war eine Kämpferin und eine Gewinnerin. Es ging ihr unglaublich an die Nieren zu verlieren. Aber in keinem Fall hatte sie damit gerechnet zu verlieren – genau wie in diesem Fall auch.
Der Fall war klar. Sie hatte die Tatsachen wie bei einer Patience aufgedeckt, eine nach der
Weitere Kostenlose Bücher