Das 9. Urteil
Ausnahmezustand befand. Er hatte Schaum vor dem Mund und verlor irgendwann das Bewusstsein. Doch anstatt einen Notarztwagen zu rufen, hat der Angeklagte die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und tausend Dollar sowie eine Scheckkarte aus Dr. Harris’ Portemonnaie entwendet.
Dann hat er mithilfe der Scheckkarte noch einmal tausend Dollar abgehoben und sich bei Rochester Big & Tall eine neue Lederjacke sowie ein Paar Stiefel gekauft.
Danach«, fuhr Yuki fort, »hat der Angeklagte sich erneut eine Ration Kokain besorgt und eine Prostituierte gemietet, Elizabeth Wu, die er mit zu Dr. Harris genommen hat.
Im Verlauf der folgenden Stunden haben Miss Wu und Mr. Johnson Kokain geschnupft, mehrfach Sex gehabt und sich, nach Angaben von Mr. Johnson, einmal auch darüber ausgetauscht, wie sie Dr. Harris’ Leiche loswerden sollten, sobald er tot war. Das, meine Damen und Herren, beweist eindeutig das vorhandene Unrechtsbewusstsein.
Adam Johnson war sich vollkommen darüber im Klaren, dass der Doktor in Lebensgefahr schwebte. Trotzdem hat er fünfzehn Stunden lang gewartet, bis er Hilfe geholt hat«, sagte Yuki und schlug mit der flachen Hand auf das Pult. »Fünfzehn Stunden. Als Mr. Johnson sich schließlich auf Drängen von Miss Wu doch noch entschlossen hat, die Notrufnummer zu wählen, da war es zu spät. Dr. Harris ist im Notarztwagen auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.
Wir alle wissen, dass die Verteidigung hierzu nichts zu sagen hat.
Wenn die Fakten gegen den Angeklagten sprechen, dann flüchten Strafverteidiger sich in der Regel in Theatralik und fangen an, das Opfer zu beschuldigen.
Mr. Asher hat Ihnen mitgeteilt, dass Dr. Harris die ärztliche Zulassung aufgrund seines Drogenkonsums verloren hat. Und dass er seine Frau betrogen hat. Das ist wahr, aber was hat das zu sagen? Das Opfer war kein Heiliger, aber auch unvollkommene Menschen haben ein Anrecht auf menschliche Behandlung. Und sie haben ein Anrecht auf Gerechtigkeit.
Die Verteidigung hat versucht, Adam Johnson als glücklosen Laufburschen darzustellen, der nicht einmal in der Lage ist, eine Überdosis von einer Konservendose zu unterscheiden.
Aber das ist reine Fantasie. Adam Johnson hat genau gewusst, was er tat. Er hat alles zugegeben: die absichtliche Missachtung des Opfers genauso wie sämtliche Vergnügungen dieses Abends, als er gestohlen und eingekauft, Koks geschnupft und Sex gehabt hat, während Dr. Harris im Sterben lag.
Darum kann es nur einen einzigen Urteilsspruch geben. Die Vertretung der Anklage bittet Sie hiermit, Adam Johnson in dreifacher Hinsicht schuldig zu sprechen: des schweren Diebstahls, des versuchten Handels mit Betäubungsmitteln sowie der skrupellosen Missachtung menschlichen Lebens und damit des Totschlags in einem schweren Fall.«
6
Während der zehnminütigen Beratungspause stand Yuki zusammen mit Gaines im Flur vor dem Gerichtssaal.
»Du hast sie umgehauen«, sagte Gaines.
Yuki nickte. Sie durchforstete ihre Erinnerung nach irgendwelchen Fehlern, konnte aber keine entdecken. Sie hatte keinen Blackout gehabt, war nicht ins Stottern geraten, hatte die Akzente richtig gesetzt, hatte nicht irgendwie einstudiert gewirkt. Sie hatte sich nicht einen einzigen Lapsus geleistet. Wenn bloß ihre Mutter jetzt hier sein und sie sehen könnte.
»Jo-Jo hat es getan«, sagte sie zu Gaines. »Er hat es zugegeben, und wir haben es bewiesen.« Yukis Herz pumpte noch immer Adrenalin durch ihren Körper, das von der guten Sorte. Ein bisschen wie Champagner.
Nicky stieß sie von der Seite an, und Yuki hob den Blick. Der Gerichtsdiener hatte die Tür geöffnet. Die beiden betraten den Gerichtssaal und nahmen ihre Plätze ein. Die Verhandlung wurde offiziell fortgesetzt, und Yukis Mund war schlagartig trocken.
Die Angst begann, an ihrem Selbstbewusstsein zu nagen. Asher würde das letzte Wort haben. Ob er die Geschworenen dazu bringen konnte, Johnson laufen zu lassen? Sie überlegte, welches das denkbar schlechteste Ergebnis sein konnte – ein Urteil zugunsten des Angeklagten. In diesem Fall würde Ashers Dad seinem Sohn eine Party im Ruby Skye spendieren, und sie würde einsam und allein nach Hause schleichen.
Es wäre die totale Erniedrigung.
Neben ihr kritzelte Nicky eine Karikatur von ihr mit einem Stern auf der Brust und einem Heiligenschein auf seinen Block. Sie brachte ein kurzes Lächeln zustande, dann wurde es still im Saal.
Richter Rabinowitz fragte Asher, ob die Verteidigung bereit war, ihr Plädoyer zu halten, und
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