Das achte Opfer
Doch ich werde mich nicht zu erkennen geben, und Sie werden allein kommen. Wir treffen uns an der Nidda, und zwar in Nied, wo der Kerbplatz ist. Kennen Sie sich in Nied aus?«
»Nein, aber ich werde den Platz schon finden.«
»Gut, ich schlage vor, wir treffen uns um dreiundzwanzig Uhr, doch wie gesagt, ich werde mich nicht zu erkennen geben. Ich möchte Ihnen nur Informationen liefern, mehr nicht.«
»Sind Sie in etwas Illegales verwickelt?«
Nervöses Atmen, Husten am anderen Ende der Leitung. »Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nicht mehr, was legal und was illegal ist. Der Grenzen verschwimmen immer mehr, und ich bin einfach ratlos. Obgleich ich das in meiner Position gar nicht sein dürfte. Aber kommen Sie allein, ich werde es kontrollieren. Sollte irgend jemand außer Ihnen dasein, werde ich einfach wieder gehen, und Sie werden nichts von dem erfahren, das Ihnen bei der Klärung der Fälle helfen könnte.«
»Ich komme allein, versprochen. Bis morgen um elf dann.« Sie wollte den Hörer schon wieder auflegen, als die Stimme des Anrufers sie zurückhielt.
»Warten Sie noch. Ich habe Angst, und diese Angst ist berechtigt, glauben Sie mir. Sollte mir irgend etwas . . .zustoßen . . . und Sie meine Leiche finden – mein Gott, ich mag überhaupt nicht daran denken –, dann gehen Sie in mein Büro. Ich habe in meinem Schreibtisch einen Laptop, in dem ich verschiedene ausführliche Informationen gespeichert habe. Das Paßwort ist ›Schlumpf‹. Aber Gott stehe mir bei, daß es nicht so weit kommt.«
»Wenn Sie solche Angst haben, warum gehen Sie dann nicht zur Polizei? Selbst wenn Sie in illegale Aktivitäten verwickelt sein sollten, so gibt es doch in Ausnahmefällen die sogenannte Kronzeugenregelung. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist?«
»Natürlich«, sagte der Anrufer lachend, »ich kenne mich bestens damit aus. Aber ich kann nicht zur Polizei gehen – ich wäre sofort ein toter Mann.«
»Bitte?«
»Glauben Sie mir, es ist so. Morgen abend um elf an der Nidda. Ich erwarte Sie.«
Er legte auf, während Julia Durant den Hörer noch eine Weile in der Hand behielt. Schließlich legte auch sie auf, sie fröstelte mit einem Mal. Sie blickte zur Uhr, kurz nach halb zwölf. Sie stand auf, knipste das Licht an, schaltete den Fernsehapparat ein, MTV. Sie hatte nicht gedacht, daß ihr noch einmal irgend etwas unheimlich werden könnte. Doch dieser Fall war unheimlich. Um Mitternacht, nach einer weiteren Dose Bier, machte sie einen erneuten Versuch einzuschlafen. Das Wetterleuchten war näher gekommen, vereinzelt hörte man dumpfes Donnergrollen. Sie schlief ein.
Dienstag, 0.45 Uhr
Er fuhr mit dem Jaguar durch das Tor, das sich automatisch hinter ihm wieder schloß, er hielt vor dem noch immer hell erleuchteten Haus. Er nahm seinen Aktenkoffer vom Beifahrersitz, stieg aus und ging die drei Stufen zur Tür hinauf. Er schloß auf, trat ein, lief über den weichen Flurteppich zum Wohnzimmer, wo seine Frau saß und auf einen imaginären Punkt an der Wand starrte. Anna war bei ihr, war aber auf der Couch eingeschlafen. Der Fernsehapparat war eingeschaltet, ohne daß jemand hinsah. Er drückte ihr einen Kuß auf die Wange, sie wandte kurz ihren Kopf, sah ihren Mann an, lächelte für einen kurzen Moment.
»Hallo, Schatz«, sagte er und stellte seinen Koffer ab. »Es tut mir leid, daß ich erst so spät komme, aber ich hatte einige wichtige Termine. Hattest du wenigstens einen angenehmen Tag?«
»Ja, er war ganz schön«, sagte sie mit leiser, tonloser Stimme. »Und du?«
»Ich habe ein paar Dinge erledigt, die nicht aufzuschieben waren. Nicht mehr lange, und wir werden unsere Ruhe haben. Ich verspreche es.«
Sie hörte nicht mehr zu, starrte wieder auf den Fernsehapparat. Er ging zur Couch, faßte Anna kurz bei der Schulter. Sie setzte sich erschrocken auf.
»Schon gut, Anna«, sagte er lächelnd. »Es ist leider später geworden, als ich dachte. Sie können jetzt ins Bett gehen, meine Frau und ich werden das auch gleich tun. Und nochmals danke.«
»Nicht der Rede wert. Ihrer Frau ging es heute, wie mir schien, etwas besser als in den vergangenen Tagen und Wochen. Vielleicht . . .«
»Vielleicht, ja«, sagte er seufzend. »Aber ich habe inzwischen gelernt, meine Hoffnungen nicht zu hoch zu schrauben. Natürlich würde ich mich freuen, wenn sie allmählich wieder etwas Lebensmut schöpfen würde, doch wie gesagt, ich nehme an, es ist auch diesmal nur ein Strohfeuer. Gute
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