Das achte Opfer
Toten so drehten, daß Julia Durant mit leichtem Fingerdruck die blaugrauen Leichenflecken überprüfen konnte.
»Sie ist im Nebenzimmer. Sie ist die ganze Zeit nur am Heulen.«
»Das wäre ich auch, wenn ich so mir nichts, dir nichts amfrühen Morgen die Leiche meines Arbeitgebers finden würde. Sie können ihn wieder loslassen. Er ist schon eine ganze Weile tot.«
»Was für ein furchtbarer Anblick!« sagte der Beamte. »Wer macht so was?«
»Das, lieber Kollege, wüßte ich auch nur allzugern. Warten wir auf die Spurensicherung und den Arzt und den Fotografen. Ich werde mich jetzt mal mit der Haushälterin unterhalten.«
Sie begab sich ins Nebenzimmer, wo die verheulte Frau wie ein Häufchen Elend saß. Sie blickte auf, als die Kommissarin eintrat und die Tür hinter sich schloß.
»Sie haben Stadtdekan Domberger gefunden?«
»Ja«, schluchzte sie. »Er war doch so ein guter Mensch. Wer hat ihm das bloß angetan?«
»Das wollen wir herausfinden«, sagte Julia Durant und setzte sich zu der Frau auf die Couch. »Dürfte ich erst einmal Ihren Namen haben?«
»Mathilde Scherz.«
»Frau Scherz, erzählen Sie mir doch bitte etwas über den gestrigen Abend. War irgend etwas ungewöhnlich daran? Oder hat sich Stadtdekan Domberger anders als sonst benommen? War er nervös, oder verhielt er sich irgendwie auffällig?«
Mathilde Scherz blickte Julia Durant aus rotumränderten Augen an. Sie schien einen Moment zu überlegen, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, er war eigentlich wie sonst auch.«
»Was heißt eigentlich?« hakte die Kommissarin nach.
»Ich weiß nicht.«
»Wann haben Sie Stadtdekan Domberger das letzte Mal gesehen?«
»Das war so um kurz nach zehn. Ich fragte, ob ich nochetwas für ihn tun könnte, aber er sagte nein. Er würde auch nicht mehr lange machen, er erwartete noch Besuch, der aber nicht lange bleiben würde . . .«
»Moment«, unterbrach Julia Durant Frau Scherz. »Er erwartete noch Besuch? Um welche Zeit?«
»Ich weiß es nicht genau, aber vielleicht so gegen halb elf.«
»Aber Sie wissen nicht, um welchen Besucher es sich handelte?«
»Nein. Der Stadtdekan empfing nicht selten um diese späte Uhrzeit Besuch. Deshalb habe ich mich auch nicht darüber gewundert. Ich habe ihm nur gesagt, er solle sich nicht mehr soviel zumuten, aber er wies das zurück, indem er sagte, daß es seine Aufgabe und Berufung sei und seine Gesundheit in Gottes Händen liege. Daß Gott ihn aber so früh und so grausam zurückrufen würde, daran hätte er wohl selbst im Traum nicht gedacht.«
»Hatte der Stadtdekan Feinde?«
»Nicht daß ich wüßte. Aber wie es aussieht, hatte er doch welche. Doch warum? Er war ein herzensguter Mensch, hatte immer ein offenes Ohr für die Bedürfnisse anderer . . .«
»Das hört sich nach einem selbstlosen Menschen an . . .«
»Das war er wohl auch. Er hat immer erst an andere gedacht und dann an sich. Um so unverständlicher ist mir, daß jemand ihn auf solch üble Weise zugerichtet hat. Was geht nur in dem Kopf eines solchen Monsters vor? Und die Zahl auf der Stirn . . . Als ob der Stadtdekan jemals etwas mit dem Teufel zu tun gehabt hätte. Welcher Unsinn!«
»Hat der Stadtdekan einen Terminkalender gehabt?«
»Natürlich. Wie hätte er sich sonst all seine Termine merken können?!«
»Würden Sie ihn mir freundlicherweise zeigen? Vielleicht hat er einen Eintrag für gestern abend gemacht.«
»Er hat ihn immer offen auf seinem Schreibtisch liegen. Aber ich möchte jetzt nicht in sein Büro gehen, ich möchte nicht noch einmal diesen Anblick ertragen müssen. Ich hoffe, Sie können . . .«
Julia Durant legte eine Hand auf die von Frau Scherz, nickte verständnisvoll. »Natürlich kann ich das verstehen. Bleiben Sie einfach hier, oder gehen Sie auf Ihr Zimmer, bis wir fertig sind.«
»Ich bleibe hier, es könnte ja sein, daß Sie mich noch einmal brauchen.«
»Ja, wahrscheinlich sogar.«
Die Kommissarin erhob sich und verließ das Zimmer. Hellmer war bereits eingetroffen, ebenso die Spurensicherung und ein Arzt. Hellmer sah Julia Durant mit ernstem Blick an, sagte: »Das ist jetzt schon Nummer vier. Ist dir etwas aufgefallen?«
»Nein, was meinst du?«
»Es riecht in dem Zimmer nicht nach Bittermandeln. Wie es scheint, hat der Täter diesmal die brutale Methode vorgezogen . . .«
»Oder er hat keine Gelegenheit gehabt, seinem Opfer das Zyankali unterzumischen.«
»Okay«, sagte Hellmer und hob die Hände, »kann auch sein. Der Rest stimmt jedenfalls.
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