Das achte Opfer
mit fünfundzwanzig fertig mit dem Studium war, gab es keine Schule, die mich haben wollte. Weißrußland ist arm, sehr arm. Sie müßten einmal hinfahren, um zu sehen, wie arm es wirklich ist. Schlechte Straßen, wenn es überhaupt welche gibt, Häuser, die so armselig sind, daß man sie kaum beschreiben kann, Geschäfte, in denen es für den Normalbürger fast nichts zu kaufen gibt, es sei denn, er ist etwas wohlhabender als die anderen, Schulen, an denen es kaum Lehrer gibt, weil das Geld fehlt, sie zu bezahlen. Und dann die langen, endlosen Winter, und es gibt viele in meinem Land, die im Winter frieren und schwer krank werden, weil sie nicht genügend Holz für Feuer haben. Als ich hörte, um wieviel besser es in Deutschland ist und wie leicht es ist, nach Deutschland zu kommen, da dachte ich mir, ich werde es einfach versuchen. Keiner hat mir vorher gesagt, daß ich meinen Körper verkaufen sollte. Ich erfuhr es erst, als es zu spät war. Und jetzt geht es mir fast schlechter als zu Hause. Ich hatte einen Traum, und da kam jemand und versprach mir, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Und ich dachte, warum sollte nicht auch ich einmal etwas Glück haben. Und was ist mein Glück? Dieses elende Zimmer, für das ich jeden Tag zweihundertfünfzig Mark bezahlen muß, Männer, mit denen ich ins Bett gehen muß, egal ob sie sauber oder schmutzig sind, aber das Schlimmste sind die anderen Huren und die Pächter, man muß aufpassen bei jedem Wort, das mansagt. Es ist wie ein Gefängnis, ich habe keine Chance herauszukommen – es sei denn, Sie helfen mir.«
»Wir helfen Ihnen. Es wird sehr schnell gehen. Auf Wiedersehen.«
Die Befragung der übrigen Damen dauerte eine weitere Stunde, wobei keine von ihnen zugab, einen der Männer auf den Fotos wiederzuerkennen. Auf dem Weg nach unten begegneten sie erneut dem Pächter. Er grinste sie an und fragte spöttisch: »Und, sind Sie fündig geworden?«
»Wonach, glauben Sie denn, haben wir gesucht?« fragte Hellmer kalt zurück.
»Keine Ahnung, vielleicht verraten Sie’s mir ja.«
»Typen wie Ihnen verraten wir gar nichts. Und jetzt hätten wir gern Ihre Personalien und den Pächternachweis gesehen.«
»Hab ich in meinem Büro.«
»Also, gehen wir in Ihr Büro.«
Sie stiegen die Treppen hinab, überquerten den schmutzigen Hof mit den überquellenden Mülltonnen, aus denen es erbärmlich stank, und betraten das Büro. Der Mann zog eine Schublade seines unaufgeräumten Schreibtischs auf, holte die Papiere heraus. »Hier, alles in Ordnung«, sagte er und reichte die Papiere Hellmer.
»Das wird sich gleich rausstellen«, sagte Hellmer und warf einen Blick auf die Papiere. Plötzlich stutzte er.
»Moment, Sie sind nicht nur der Pächter dieses Etablissements, sondern auch noch von drei anderen?«
»Richtig geraten.« Der Mann grinste. »Ich habe hier alles unter Kontrolle.«
»Soweit wir informiert sind, ist als Eigentümer Immobilien Neuhaus registriert.«
»Richtig. Aber ich bin der Pächter. Sie können doch lesen, oder?«
»Daß Neuhaus tot ist, wissen Sie aber, oder?«
»Na und, ist nicht mein Problem. Das ändert erst mal nichts an meinem Vertrag, denn der läuft, wie Sie sehen können, über zehn Jahre.«
Hellmer reichte die Papiere zurück. »In Ordnung. Ich hoffe nur, Sie führen Ihren Laden so, wie es die Vorschriften vorsehen. Sollten wir die geringsten Klagen hören, zum Beispiel, was Hygiene angeht, oder daß Sie nichtregistrierte Huren hier arbeiten lassen, wird das Konsequenzen nach sich ziehen, darüber sollten Sie sich im klaren sein.«
»Bei mir können Sie vom Fußboden essen . . .«
»Nein, danke. Ich würde hier nicht mal essen, wenn Sie nebenbei ein Restaurant betreiben würden. Auf Wiedersehen.«
»Hoffentlich nicht.«
Hellmer und Durant gingen nach draußen, wo sie sich beide eine Zigarette ansteckten. Langsam liefen sie durch den Ausgang zurück zu ihrem Wagen, den sie in der Kaiserstraße geparkt hatten.
»Verdammtes Schleimpaket!« fluchte Hellmer unterwegs. »Dieser Kerl ist also der Pächter von vier Puffs von Neuhaus. Aber schon im ersten sind wir fündig geworden. Ich hoffe nur, diese Nadja kriegt keinen Ärger. Es wäre schade um sie.«
»So habe ich dich noch nie erlebt, weißt du das?« fragte Julia Durant anerkennend.
»So pervers das klingen mag, aber allmählich finde ich Gefallen an dieser Sache. Es reizt mich einfach, dieses Puzzle zusammenzusetzen. Kannst du das nicht verstehen? Mein Gott, wir haben eben
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