Das achte Opfer
auf ihm saß, heißt ›der Tod‹; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde . . . Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen . . . verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge. Sie sagten zu den Bergen und Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Blick dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Wer kann da bestehen? . . . Dann geht es dem Gläubiger wie dem Schuldner, dem, der ausleiht, wie dem, der leiht.
Er spricht hier zum einen vom Tod und von der Unterwelt, von derMacht zu töten, von den Königen der Erde, den Großen und Heerführern, den Reichen und Mächtigen; und er spricht von dem großen Tag des Zorns.«
»Ja, und«, wurde sie von Kullmer unterbrochen, »was hat das alles mit dem Mord an diesem Matthäus zu tun?«
»Meine Güte noch mal, kapieren Sie überhaupt nichts?! Dieser Matthäus gehörte zu den Reichen und Mächtigen. Er war einer von ihnen. Wir haben ja bis jetzt noch nicht einmal den Hauch eines Schimmers, wie reich und wie mächtig Matthäus war, bis wohin sein Einfluß reichte und vor allem, wie er seine Macht und seinen Reichtum einsetzte oder vielleicht sogar ausnutzte. Wir wissen bis jetzt noch gar nichts. Aber das, was ich Ihnen jetzt eben noch einmal vorgelesen habe, ist für mich ganz einfach zu bombastisch, als daß ich glauben könnte, daß nur eine einzige Person damit gemeint ist. Wer immer das geschrieben hat, ist entweder ein religiöser Spinner oder Fanatiker, der sich vielleicht durch eine höhere Macht berufen fühlt, die Erde von Unrat und Schmutz zu befreien, oder er befindet sich auf einem privaten Rachefeldzug. Und da ich fast die halbe Nacht wach lag, hatte ich genügend Gelegenheit, mir ein paar Gedanken zu machen. Da ist nämlich auch noch die Sache mit den weißen Lilien. Zwölf Lilien hat er mir geschickt, eine sehr ungewöhnliche Zahl. Und weiße Lilien sind Blumen, die man auf ein Grab legt. Ich habe meinen Vater gestern abend danach gefragt, der ja, wie Sie wissen, Priester im Ruhestand ist, und er hat mir gesagt, daß die Zahl zwölf eine mystische Zahl ist, die der Überlieferung nach die Ordnung im Universum ausdrückt. Sie wird als etwas Rundes, Geschlossenes, Ganzes verstanden. Und für den Schreiber, der ja wohl auch ganz offensichtlich der Täter ist, ist die Ordnung im Universum anscheinend außer Kontrolle geraten.«
»Also doch ein Verrückter«, bemerkte Kullmer lässig.
»Warum muß es ein Verrückter sein? Es kann zig Gründe geben, weshalb ein Mensch mit einem Mal so ausrastet. Doch eines scheint klar zu sein – das Opfer und der Täter kannten sich. Und allein das gibt mir zu denken.« Sie nahm einen letzten Zug an ihrer Zigarette, drückte sie im Aschenbecher aus. Sie beugte sich nach vorn und fragte: »Also, welche Fakten haben wir?«
»Hier, lesen Sie. Das ist der vorläufige Bericht der Gerichtsmedizin. Viel mehr wird der endgültige Bericht auch nicht ergeben. Tatwaffe entweder ein Stilett oder ein Skalpell«, sagte Berger.
Julia Durant nahm die Akte, Kullmer und Hellmer standen hinter ihr und lasen mit. Als sie fertig waren, legte die Kommissarin die Akte auf den Tisch.
»Halb fünf. Um diese Zeit haben die meisten in der Bank noch gearbeitet. Mal sehen, ob uns einer weiterhelfen kann. Was ich jedoch ehrlich gesagt bezweifle.«
»Und die abgeschnittenen E. . ., ich meine Hoden«, sagte Kullmer grinsend, »was haben die zu bedeuten? Und die Zahl auf seiner Stirn?«
»Na ja, daß ihm jemand die Eier abgeschnitten hat«, erwiderte Julia Durant ebenfalls grinsend, »könnte unter Umständen auf ein Ritual schließen lassen. Andererseits könnte es auch jemand getan haben, den Matthäus vielleicht betrogen hat. Ich meine damit sexuell. Ein gehörnter Ehemann, der sich auf diese Weise an ihm gerächt hat, oder eine verschmähte Geliebte . . . Wie gesagt, es gibt viele Deutungsmöglichkeiten. Wobei ich persönlich an die Theorie vom gehörnten Ehemann oder von der verschmähten Geliebten nicht glaube. Das wäre mir einfach zu simpel. Ein gehörnter Ehemann oder eine verschmähte Geliebte betreibt nicht einen derartigen Aufwand. Solche Leute wartenhöchstens vor seinem Haus oder in der Tiefgarage oder wo immer auf ihn und legen ihn um. Das sind meistens Leute, die wenig Kontrolle über sich
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