Das achte Opfer
Bericht der Gerichtsmedizin, den kompletten Bericht hatte man ihm für den Mittag zugesagt. Er hatte auch bereits die ersten Anfragen von den Medien wegen Interviews auf dem Tisch, allerdings würde er zu diesem Zeitpunkt noch keine Statements abgeben, es mußte auch genau abgewogen werden, welche Fakten der Öffentlichkeit ohne Bedenken zugänglich gemacht werden konnten. Auf keinen Fall, soviel stand für ihn fest, würden die Schreiben und die abgetrennten Hoden erwähnt werden, genausowenig wie die auf die Stirn des Opfers mit Blut geschriebene Zahl 666. Im Augenblick war es ein ganz normaler Mordfall, mit dem die Kripo sich auseinanderzusetzen hatte. Nicht mehr und nicht weniger, auch wenn das Opfer zu den prominentesten und einflußreichsten Bürgern Frankfurts zählte.
Um kurz vor halb acht erschien Kommissar Kullmer, wenige Minuten später gefolgt von Kommissar Hellmer, der ein mürrisches »guten Morgen« brabbelte. Beide setzten sich in ihren Büros an ihren Tisch, sämtliche Verbindungstüren waren geöffnet, so daß man sich ohne Mühe unterhalten konnte. Kullmer kam zu Hellmer, setzte sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch. Wie meist kaute er auch jetzt Kaugummi, und eine Duftwolke von zuviel aufgetragenem Eau de Toilette umwehte ihn.
»Sag mal, stimmt das, was ich gehört habe – der Matthäus von der Frankfurter Bank ist gestern umgelegt worden?«
»Sicher, ich war selber dort, zusammen mit Julia.«
»Erzähl, was genau ist passiert?«
»Was genau passiert ist, weiß ich nicht, nur soviel, daß man ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn kastriert hat, auf seiner Stirn die Zahl 666 mit Blut geschrieben stand und neben ihm ein Zettel mit exakt dem gleichen Spruch lag,den auch Julia gestern morgen bekommen hat. Na ja, und wie es aussieht, wurde er umgebracht, während die meisten Büros noch besetzt waren. Deshalb werden wir auch gleich nachher hinfahren und die Angestellten vernehmen.«
Bevor Kullmer noch etwas fragen konnte, ging die Tür auf, und Julia Durant kam herein. Sie wirkte übermüdet und blaß, schien ebenfalls nicht sonderlich gut aufgelegt zu sein. »Morgen«, sagte sie und hängte ihre Handtasche an den Haken, nahm die Zigaretten heraus und zündete sich eine an.
»Guten Morgen, Kollegin«, erwiderte Berger, der kurz zu ihr aufsah. »Ausgeschlafen?«
»Nein, ich habe die halbe Nacht kein Auge zugemacht.« Sie setzte sich Berger gegenüber.
»Wir haben Vollmond, da geht es vielen ähnlich.«
»Es lag nicht am Vollmond, ich habe bisher bei Vollmond immer gut schlafen können. Es ist dieser verdammte Fall. Ich weiß nicht, aber ich fürchte, daß das noch längst nicht alles war.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Berger und lehnte sich zurück.
»Keine Ahnung, einfach nur ein Gespür. Ich habe schlichtweg das Gefühl, daß der Täter wieder zuschlagen wird.« Sie breitete hilflos die Arme aus und sah Berger an. »Tut mir leid, aber das ganze Brimborium vorher deutet einfach darauf hin, daß da noch mehr kommt.«
Kullmer und Hellmer standen in der Tür.
»Und was kommt deiner Meinung nach noch?« fragte Hellmer.
»Mein Gott noch mal, woher soll ich das denn wissen?! Es ist nur ein Gefühl und nichts anderes. Ich hätte es gar nicht erst sagen sollen, ihr glaubt es ja doch nicht.«
»Komm, jetzt sei nicht eingeschnappt, es mag ja sein, daßdu recht hast, aber im Augenblick haben wir nur einen Toten. Und keinerlei Hinweise darauf, daß es noch einen oder mehr geben wird. Wir müssen uns jetzt auf diesen Fall konzentrieren.«
»Ja, das weiß ich selber. Aber hier, ich lese euch noch einmal vor, was er mir bis jetzt geschrieben hat. Hört gut zu, das erste Schreiben:
Dann sah ich: Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! Da sah ich ein weißes Pferd; und der, der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm gegeben, und als Sieger zog er aus, um zu siegen.
« Sie blickte auf, Kullmer grinste provozierend, produzierte eine Blase mit seinem Kaugummi. Er sagte nichts, sein Gesichtsausdruck verriet jedoch seine Gedanken. Julia Durant registrierte es, ließ sich aber keine Regung anmerken. Hellmer hingegen schien nachdenklich zu sein, strich sich mit der rechten Hand über das Kinn mit dem Dreitagebart. Sie fuhr fort: »Es geht aber noch weiter. Hier:
Und als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens rufen: Komm! Da sah ich ein fahles Pferd; und der, der
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