Das achte Opfer
eine halbe Stunde. Um fünf vor eins parkte Hellmer den Wagen vor dem Haus von Dr. Matthäus. Sie stiegen aus, die Kommissarin nahm noch einen letzten Zug von ihrer Zigarette und ließ sie dann auf die nasse Straße fallen. Sie klingelten, das Tor öffnete sich wie von Geisterhand, und genauso geräuschlos schloß es sich wieder hinter ihnen. Sie liefen den Kiesweg entlang zum Haus, wo sie von Frau Matthäus bereits erwartet wurden. Sie trug ein lindgrünes Kleid, einen roten Seidenschal, Seidenstrümpfe und rote Pumps. Sie lächelte kaum merklich.
»Bitte treten Sie ein«, sagte sie und ließ die Beamten an sich vorbei ins Haus gehen. »Gehen wir doch am besten wieder in das Wohnzimmer. Ich habe Maria bereits gebeten, Kaffee zu kochen – Sie trinken doch Kaffee?«
»Machen Sie sich bitte keine Umstände . . .«
»Das sind keine Umstände. Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen.«
Durant und Hellmer setzten sich wie am Vorabend auf den Zweisitzer, während Frau Matthäus ihnen gegenüber auf dem Sessel Platz nahm, die Beine eng geschlossen, die Hände gefaltet.
»Nun, was kann ich für Sie tun?«
»Wir haben nur ein paar Fragen an Sie«, erwiderte Kommissarin Durant. »Doch zuvor hätte ich eine Bitte. Wäre es vielleicht möglich, ein Aspirin zu bekommen. Ich habe ziemlich starke Kopfschmerzen.«
»Selbstverständlich. Ich vertrage dieses Wetter auch nicht sonderlich gut. Wenn Sie bitte einen Moment warten wollen.« Sie erhob sich, ging zur Tür und rief nach Maria, der Haushälterin. Zwei Minuten später kam sie mit einem Glas Wasser und einem Aspirin zurück und reichte beides der Kommissarin.
»Danke«, sagte sie, »jetzt kann ich nur noch hoffen, daß es auch wirkt. Aber nun zum eigentlichen Grund unseres Besuches. Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen? Sie erwähnten gestern, daß er nicht häufig zu Hause war, zumindest habe ich das so verstanden.«
»Gestern morgen beim Frühstück, das wir ausnahmsweise einmal zusammen einnahmen.«
»Frau Matthäus, wirkte Ihr Mann gestern morgen anders als sonst? War er vielleicht aufgeregt oder nervös? Oder ist Ihnen sonst irgend etwas an seinem Verhalten aufgefallen?«
Sie überlegte einen Moment, zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf. »Nein, nichts. Außerdem hat er während des Frühstücks sein Gesicht hinter der Zeitung versteckt. Zumindest die meiste Zeit. Und wenn Ihre nächste Frage sein sollte, was wir gesprochen haben, dann muß ich Ihnen leider sagen, daß außer einem guten Morgen und einem dahingeplapperten Abschiedsgruß nichts von Belanggesprochen wurde. Wir sprachen über Belanglosigkeiten wie seit Jahren schon. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß unsere Ehe nur noch eine brüchige Fassade war. Was glauben Sie, wie viele von den anderen hier denken oder dachten, wie glücklich wir wären?! Wir waren’s aber nicht. Ich auf jeden Fall nicht. Wie es bei ihm aussah, kann ich nicht beurteilen. Doch ich nehme an, seine und meine Auffassung von Glück waren sehr unterschiedlich.«
Maria, das Hausmädchen, kam herein mit einem Silbertablett, auf dem eine silberne Kanne und drei Tassen und Untertassen sowie eine kleine Schale mit Keksen standen. Sie stellte das Tablett ab und die Tassen auf den Marmortisch, schenkte ein.
»Danke«, sagte Frau Matthäus, worauf Maria das Zimmer wortlos verließ.
»Hatte Ihr Mann ein Verhältnis?« fragte Hellmer.
Frau Matthäus lächelte dezent, sah Hellmer direkt an. »Eines? Ich denke, er hatte im Lauf unserer Ehe zehn oder zwanzig oder hundert Verhältnisse. Je jünger, desto besser. Ich weiß das aber nicht, weil ich einen Detektiv beauftragt hätte, ihn zu beschatten, sondern weil vor ziemlich genau einem Jahr eines dieser Verhältnisse plötzlich hier aufgetaucht ist und eine fürchterliche Szene gemacht hat. Mitten in ein Gartenfest ist sie hineingeplatzt und hat rumgeschrien, daß sie schwanger sei und daß mein Mann sich gefälligst um die Zukunft des Kindes kümmern solle und sie sich nicht einfach wie einen Haufen Dreck wegwerfen lassen würde. Glücklicherweise wußte ich zu diesem Zeitpunkt schon, daß er es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm, weshalb mich der Auftritt dieser jungen Dame eher amüsierte, als daß ich wie vielleicht andere Frauen in meiner Situation die Beherrschung verloren hätte. Mein Mann war es, der die Beherrschung verlor, Sie hätten seinen Kopfsehen müssen, wie er vor Wut und Demütigung fast platzte . . . Ich habe es ihm gegönnt, es war so etwas wie ein innerer
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