Das achte Opfer
später. Was, wenn mein Mandant in Ihrer Zelle gestorben wäre? Unschuldig gestorben wäre. Wie hätten Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren können?«
»Hören Sie doch auf! Er ist nicht gestorben, also ist alles andere, was Kollege Dreekmann hier vorbringt, reine Hypothese«, warf Staatsanwalt Anders ein. »Außerdem ist Doktor Winzlow nach vierundzwanzig Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt worden.«
»Nun, ich denke, ich brauche keine weiteren Fragen zu stellen, die Sache liegt klar auf der Hand – die Polizei hat sich auf einen anonymen Anrufer verlassen, kann zwei unidentifizierte und zwei nicht vorhandene Leichen vorweisen und schon gar nicht beweisen, daß mein Mandant auch nur im geringsten mit Waffen und Drogen gehandelt hat beziehungsweise handelt. Ich bitte deshalb darum, diesen Fall so schnell wie möglich zu beenden und meinem Mandanten wieder den guten Leumund zurückzugeben, den er bislang gehabt hat und der durch diese unqualifizierte Polizeiarbeit in den Schmutz gezogen wurde. Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür, daß mein Mandant in irgendeiner Weise in kriminelle Machenschaften verwickelt ist oder war. Keine weiteren Fragen.«
Dreekmann kehrte zu seinem Platz zurück, warf der entnervten Julia Durant einen belustigten Blick zu. Staatsanwalt Anders hatte keine Fragen an sie. Sie erhob sich, verließ den Saal. Draußen atmete sie tief durch, ging zuihrem Wagen, stieg ein, zündete sich eine Zigarette an. Sie hatte geahnt, daß es so enden würde. Dreekmann war zu ausgebufft. Ihm war nur beizukommen, wenn man hiebund stichfeste Beweise und Argumente vorbringen konnte. Sie machte sich auf den Weg zurück zum Präsidium. Sie hoffte, so bald nichts wieder mit diesem Dreekmann zu tun haben zu müssen. Manchmal fragte sie sich, ob nicht er selbst seine Finger in schmutzigen Geschäften hatte, vielleicht war er ja auch ein Bestandteil des organisierten Verbrechens. Viele Kripobeamte meinten, daß es wohl nicht von ungefähr komme, daß Dreekmann fast ausschließlich Schwerkriminelle aus dem organisierten Verbrechen verteidigte und es ihm seltsamerweise fast immer gelang, für seine Mandanten entweder einen Freispruch oder zumindest eine Bewährungsstrafe zu erwirken. Aber nachweisen konnte ihm bislang keiner etwas. Außerdem wurde gemunkelt, daß er Kontakte zu hochrangigen Persönlichkeiten aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens pflegte, darunter auch Richter und Staatsanwälte. Eines war auf jeden Fall sicher – er war der ungekrönte König unter den Strafverteidigern in Deutschland.
Donnerstag, 11.45 Uhr
Dr. Dreekmann und Dr. Winzlow verließen das Gerichtsgebäude, blieben vor Winzlows Mercedes 500 stehen.
»Danke«, sagte Winzlow nur und reichte Dreekmann die Hand.
»Wofür, ich habe nur meinen Job getan. Aber du solltest in Zukunft etwas vorsichtiger sein. Nimm auf keinen Fallmehr eines deiner Häuser als Versteck. Such dir irgend etwas anderes, Unauffälligeres. Und vor allem, versuch herauszufinden, wer aus deiner näheren Umgebung der Polizei den Tip gegeben hat. Du darfst nur Leute um dich haben, denen du blind vertrauen kannst. Ein guter Rat von mir – sortier aus.« Dreekmann blickte zur Uhr. »Tut mir leid, aber ich muß jetzt in die Kanzlei. Wir hören voneinander.«
»Okay, und nochmals vielen Dank.«
»Mach dich schon mal auf die Rechnung gefaßt«, sagte Dreekmann lachend. »Du weißt, umsonst ist nur der Tod. Und selbst der nicht immer. Wir sehen uns dann.«
Donnerstag, 11.45 Uhr
Als Julia Durant ins Präsidium zurückkehrte, waren Berger und Kullmer in ein Gespräch vertieft. Das Fenster stand offen, der Lärm von der Mainzer Landstraße drang nach oben. Berger rauchte, während Kullmer seinen Kaugummi zwischen den Zähnen knetete. Julia Durant hängte ihre Tasche an den Kleiderhaken, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie an. Sie wartete, bis das Gespräch beendet war und Berger sich ihr zuwandte.
»Und, wie war’s bei Gericht?« fragte Berger, es klang, als wüßte er die Antwort bereits.
»Beschissen. Winzlow ist nichts nachzuweisen, und Dreekmann sollte eigentlich Dreckmann heißen. Aber lassen wir das jetzt. Was ist mit Neuhaus?«
»Ich habe einen Durchsuchungsbefehl für die Geschäftsund Privaträume von Matthäus und Neuhaus erwirkt. Ach ja, das hier ist vorhin für Sie gekommen«, sagte Berger undreichte der Kommissarin einen Umschlag und eine weiße Lilie. Sie nahm den Umschlag an sich, riß ihn auf. Ein Zettel.
Wenn ihr
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