Das achte Opfer
zumindest, warum Winzlow so grausam hingerichtet wurde. Und für den Täter war Winzlow Unrat, wenn ich recht habe. Was wiederum bedeuten würde, daß der Täter hohe moralische Ansprüche stellt.«
»Hohe moralische Ansprüche, die mit Mord enden! Eine seltsame, sehr zynische Moral«, bemerkte Hellmer.
Sie sahen sich die Bilder an, die in ihrer Einfachheit undFarbenpracht die Kindlichkeit und zum Teil Naivität und seelische und geistige Reinheit der kleinen Künstler zum Ausdruck brachten.
»Es sind schöne Bilder, findest du nicht auch?« fragte sie Hellmer. »Besonders dieses hier mit den Schmetterlingen – man meint, den Frühling und die Fröhlichkeit förmlich zu spüren.«
»Du solltest dir vielleicht auch Kinder anschaffen.«
Sie lachte leise auf. »Vielleicht hätte ich schon längst welche, wenn, ja wenn mein lieber Herr Gemahl sich nicht lieber ständig mit anderen Weibern vergnügt hätte anstatt mit mir. Und jetzt bin ich Mitte Dreißig, alleinstehend, und der Zug ist wohl abgefahren.«
»Und wenn der Richtige käme?«
»Ich glaube, ich gehöre nicht zu den Frauen, zu denen der Richtige kommt. Ich bin wohl zum Alleinleben geboren.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber ich komm ganz gut damit zurecht.«
»Ich nicht, leider. Ich bin nicht gern allein.«
»Du vermißt deine Kinder sehr, nicht?«
»Ach, ich weiß nicht, was ich wirklich vermisse, ob es die Kinder sind, meine Frau . . .«
»Nadine Neuhaus?«
»Vielleicht.«
»Sie ist jetzt frei.«
»Aber es ist so viel Zeit vergangen. Ich glaube nicht an die zweite Chance. Auch wenn ich gern dran glauben würde. Komm, sehen wir uns in Winzlows Büro um. Ich will vor heute abend noch einmal nach Hause und mich ein bißchen ausruhen und frisch machen.«
Winzlow hatte ein vergleichsweise kleines Büro, das aussah, als wäre es seit Wochen oder Monaten nicht betreten worden.Kein Staubkorn, keine Spur von Unordnung. Nach knapp einer halben Stunde verließen sie es wieder, gaben den Schlüssel bei der jungen Dame am Eingang ab und verabschiedeten sich. Sie fuhren zum Präsidium, wo Hellmer gleich in seinen Ford umstieg, alle Fenster runterkurbelte und das Radio auf volle Lautstärke stellte. Julia Durant ging noch einmal ins Büro, das jetzt leer war. Sie machte die Tür gleich wieder zu und ging zu ihrem Corsa. Sie war müde und erschöpft, beschloß, sich zu Hause für eine Stunde hinzulegen, danach zu duschen, um für die nächtliche Polizeiaktion gerüstet zu sein. Auf der Heimfahrt dachte sie unentwegt an Winzlow und die Möglichkeit, daß er Kinder mißbraucht haben könnte.
Freitag, 22.30 Uhr
Nachdem Hauptkommissar Schnell die letzten Instruktionen ausgegeben hatte, begaben sich alle Beamten zu ihren Fahrzeugen. Um Punkt dreiundzwanzig Uhr war alles bereit, mit der Durchsuchung der sechs Häuser zu beginnen. Julia Durant fuhr mit acht Beamten zu einem Haus in Bockenheim, von dem vermutet wurde, daß dort nicht nur illegale Huren arbeiteten, sondern auch Drogen und Waffen gehandelt wurden. Die drei Wagen, darunter einer für den Transport von vorläufig Festgenommenen, hielten vor dem Eingang der wie eine Festung gesicherten Villa, die sich inmitten eines ausgedehnten Parkgeländes befand. Sechs bewaffnete Beamte stürmten hinaus und auf das Tor zu, das verschlossen war. Einer der Männer klingelte, eine männliche Stimme meldete sich kurz darauf.
»Ja?«
»Polizei, bitte öffnen Sie sofort das Tor! Wir haben einen Durchsuchungsbefehl.«
Die Tor ging auf, die Männer rannten zum Eingang, wo ein bulliger, kahlköpfiger Kerl mit kleinen Schweinsaugen und Achselshirt, die Arme vollständig tätowiert, in der Tür stand, mit beiden Händen hielt er zwei knurrende, an der Leine zerrende Rottweiler. Um den Hals trug er eine goldene Panzerkette, am rechten Handgelenk ein goldenes Armband, am linken eine Rolex.
»Was ist los?« fragte er mit unschuldigem Blick, doch Julia Durant entging nicht das Verschlagene dahinter.
»Machen Sie den Weg frei, und kommen Sie mit«, fuhr ihn der Beamte an. »Doch zuerst schließen Sie die beiden Köter weg. Aber vorher will ich noch wissen, wie viele Personen sich im Moment hier aufhalten.«
»Sehen Sie doch selbst nach.«
Das Haus bestand aus drei Stockwerken und einem Keller. Insgesamt wurden innerhalb weniger Minuten fünfzehn Prostituierte und vierzehn Freier auf die Flure geholt. Es war heiß in dem Haus, der typische, etwas süßliche Bordellgeruch zog durch die Luft. Nach ihren Papieren
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