Das Aion - Kinder der Sonne
Verstoß«, erklärte er. Gewandt, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, zog er ein kleines Büchlein aus seiner Manteltasche und begann eifrig darin zu blättern. »Das Strafgesetz schreibt in einem derartigen Fall vor, die Verantwortlichen bis zur Ankunft über dem Festland unter Attest zu stellen …«
»Arrest«, korrigierte ihn der Büttel mit der Ledermappe.
»… um sie sodann mittels Katapultschuss aus der Stadt zu verbannen«, vollendete der Sittenrichter seinen Satz. Dann wirbelte er herum und polterte: »Ich verbiete mir ab sofort jegliche Kritik an meiner Person!«
Der Büttel stand erschrocken stramm, presste die Ledertasche gegen seine Brust und salutierte. »Bitte vielmals um Vergebung, Euer Ehren!«, beeilte er sich zu sagen. »Soll nicht wieder vorkommen, Euer Ehren! Bin ab jetzt stumm wie ein Fisch. Bitte nicht wieder in den Kerker zu den tauben Rabulisten, Euer Ehren!«
»Nun gut, gut …« Bassal Diala wedelte mit den Händen ungeduldig in der Luft herum. »Klärt das außerhalb dieser Mauern. Was schlagt Ihr als Strafe für die Vergehen der Delinquenten vor?«
»Wir sollten sie in den Kerker sperren.« Der Sittenrichter leckte sich über die Lippen und blätterte mit leuchtenden Augen in seinem Vollzugsbüchlein. »Sowohl in der Zelle des Menschenfressers Savarin als auch im Verlies der einäugigen Harpyie sind wie üblich noch Plätze frei.« Er kicherte verschlagen. »Über die jeweilige Zuweisung entscheidet wie üblich das Los. Optional könnten wir die beiden natürlich auch in die Hasslöcher stecken …«
Bassal Diala erhob sich schnaufend von seinem Stuhl und starrte nachdenklich auf seinen Schreibtisch. Geistesabwesend wischte er mit den Fingern Staub von der Tischplatte, dann wandte er sich um und untersuchte auch das Fensterbrett ausgiebig nach Schmutz. Schließlich verschränkte er die Arme vor der Brust und sagte: »Bei allem Respekt, aber Kerkerhaft halte ich in diesem Fall für ein wenig übertrieben.« Er sah eine Weile aus dem Fenster. »Hausarrest bis zur Ankunft über dem Festland dürfte seinen Zweck ebenso erfüllen.« Er wandte sich zu dem Apparat auf dem Arbeitstisch um. »Wie denkt der ehrwürdige Herr Magistrat darüber?«
Aus dem Schalltrichter drang erneut ein unverständliches Quäken, woraufhin der Sittenwächter resignierend die Schultern hängen ließ.
»Vortrefflich!«, befand Bassal Diala. »Dann erkläre ich die Anhörung gemäß den Statuten für beendet. Die Delinquenten werden zum sofortigen Antritt der Arreststrafe in ihre Unterkunft eskortiert. Zusätzlich werden die üblichen Vorkehrungen getroffen, um jedwede Art von Fluchtversuchen im Keim zu ersticken.«
Was der Wachkommandant unter »Vorkehrungen« verstand, offenbarte sich Mira und Jiril beim Verlassen des Justizgebäudes: Vom Palasttor führte ein enger Korridor aus frisch errichteten, zwei Meter hohen Mauern quer durch die Stadt. Er war so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinandergehen konnten. Der Korridor endete jedoch nicht etwa vor der Haustür ihres »Gastgebers«, des Magistraten, sondern führte quer durch dessen Haus bis hinauf in die dritte Etage.
»Das glaub ich nicht!«, murmelte Jiril, während er dem vor ihm marschierenden Wachkommandanten die Treppe hinauf folgte. »Ich glaub das nicht …«
»Lagen unsere Zimmer gestern nicht noch im ersten Stock?«, wunderte sich Mira.
»Ich glaub das einfach nicht«, wiederholte Jiril nur. »Das müssen Nachfahren der Maurer gewesen sein, die Rom an einem Tag erbaut hatten.«
Der Korridor endete schließlich vor einer schweren Holztür. Bassal Diala öffnete sie und betrat den Arrestraum, um einen prüfenden Rundblick vorzunehmen.
»Für euer leibliches Wohl wird regelmäßig gesorgt werden«, erklärte er, nachdem Mira und Jiril die Unterkunft betreten hatten. »Im Namen eures Gastgebers wünsche ich euch für den restlichen Überseeflug einen geruhsamen Aufenthalt.« Er verließ den Raum, schenkte Mira und Jiril noch ein zufriedenes Lächeln und schloss die Tür. Riegel schnappten, ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht. Jemand rüttelte noch einmal prüfend an der Tür, dann entfernten sich die Schritte der Wachen.
»Einen geruhsamen Aufenthalt wünscht er uns!« Jiril schmiss seine Jacke in die Zimmerecke und ließ sich frustriert auf die Bettkante sinken. »Ce vantard hypocrite prune!« Er machte sich an seinen Schuhen zu schaffen. »Crâneur!«, brummte er dabei. »Gros lard!« Der Rest seiner
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