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Das Aion - Kinder der Sonne

Das Aion - Kinder der Sonne

Titel: Das Aion - Kinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Verwünschungen ging in undeutlichem Murmeln unter.
    »Was ist das eigentlich für eine komische Sprache, die ihr Alphas sprecht?«, fragte Mira.
    Jiril hielt mit dem Aufschnüren seiner Stiefel inne und starrte auf den Teppich, als müsse er selbst erst überlegen. »Französisch«, sagte er schließlich. Nachdem er sich von den Schuhen befreit hatte, ließ er sich in voller Montur ins Bett kippen. »Das gesamte Désert-Vert- Projekt südlich des Djado-Plateaus stand bis zu den Sonnenstürmen unter der Schirmherrschaft Frankreichs, da die Region einst französische Kolonie war«, erklärte er. »Heute gibt es die alten Grenzen nicht mehr, nur noch die Beta-Zone, den Savornin-Bannkreis und die äußere Barriere. Ob Frankreich, Europa und der Rest der Welt noch existiert, weiß nur Gott allein. Und jetzt tu mir bitte einen Gefallen und lass mich in Ruhe, ich bin todmüde.« Er drehte dem Mädchen den Rücken zu und murmelte: »Weck mich, wenn’s was zu essen gibt.«
    Mira stand still auf der Stelle, bis ihr leise Schnarchgeräusche verrieten, dass Jiril eingeschlafen war. Dann schlich sie auf Zehenspitzen umher und inspizierte die kleine Zimmerflucht, in die der Magistrat sie hatte verlegen lassen. Im Grunde bestand sie nur aus einem großen, lang gestreckten Raum, der sich durch schwere Vorhänge in einen Schlafbereich und eine Art Wohnbereich unterteilen ließ. Die einzige Waschmöglichkeit war ein wannenartiger Bottich in einer Zimmernische, der sich mittels Handpumpe mit kaltem Wasser füllen ließ. Das Besondere an ihrem neuen Quartier offenbarte sich erst beim zweiten Hinsehen: Die Zimmertür besaß auf der Innenseite weder ein Schloss noch eine Klinke. Ein Blick aus dem Fenster sorgte auch nicht gerade für Zuversicht. Bis hinab zur Straße mochten es gut und gern zehn Meter sein. Als Mira versuchte, eines der Fenster zu öffnen, ließen sich Griffe und Riegel keinen Zentimeter bewegen. Es half nichts: Sie waren Gefangene.
    Für einen Augenblick spielte Mira mit dem Gedanken, das Fenster einfach gewaltsam zu öffnen, besann sich dann angesichts ihrer Verletzungen jedoch eines Besseren. Zu wahrscheinlich war es, dass der Magistrat sofort die Wachen rief oder diese, alarmiert durch das Splittern der Scheiben, bereits unter dem Fenster bereitstanden, um sie in Empfang zu nehmen. Zudem war es durchaus möglich, dass Mira vor einer frisch errichteten Mauer stand, falls es ihr tatsächlich gelänge, die Zimmertür zu öffnen. Außerdem würde man bei einer erneuten Verfehlung zweifellos nicht mehr so zimperlich mit ihnen umgehen wie heute Mittag, sondern sie aus der Stadt verbannen. Und ob sie dafür bis zur Ankunft über dem Festland warten würden, war fraglich.
    Ein Gefühl hilfloser Ohnmacht überkam Mira. Alles Vertraute war unerreichbar fern geworden – das Gefühl des warmen Sandes unter ihren Fußsohlen, der Gesang der Dünen bei Sturm, die Gerüche und Geräusche ihres Dorfes, die Stimmen der Menschen, mit denen sie aufgewachsen war. Selbst die Gemeinheiten von Jumper begann sie zu vermissen. Und ausgerechnet auf ihr lastete die Verantwortung, diese verlorene Welt zu erhalten.
    Wenn wenigstens Ben hier wäre … Mira fragte sich, wie es ihm wohl gehen mochte. Ob er und Delius die Fabrik inzwischen erreicht hatten, um dem Doktor beizustehen?
    Um sich von den düsteren Gedanken abzulenken, blätterte Mira einen Stapel Bücher durch, ohne sich wirklich für ihren Inhalt zu interessieren. Lediglich die Zeichnungen und Stiche schaute sie sich an, bis es selbst dafür zu dunkel war. Dennoch entzündete sie keine Lampe, sondern blieb zusammengekauert in der Dunkelheit sitzen, ein Kissen in den Armen und reglos ins Leere starrend.
    Vor ihrem geistigen Auge erschien der alte Zeppelinhangar und in seinem Zentrum das efeuüberwucherte Speicherbecken. Dicht unter der Wasseroberfläche trieben die Dorfbewohner, Körper an Körper und mit friedlichen Gesichtern, als würden sie nur schlafen – bis sie plötzlich alle gleichzeitig die Augen öffneten und anklagend zu Mira emporsahen. Dann begannen die Menschen im Wasser zu versinken, tiefer und tiefer, um nie wieder aufzutauchen …
    »Du hast versagt, Beta!«, schrie der Chor der Mauersegler von den Wänden herab. »Versagt, versagt, versagt …!«
    Wie in Trance schlich Mira hinüber in den Schlafbereich, packte die Bettdecke und das Kopfkissen unter die Arme und ging zurück zur anderen Seite des Zimmers. Dann legte sie sich auf den Teppichboden, zog die Decke über

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