Das Aion - Kinder der Sonne
unterbrach ihn Ben. »Womöglich ist seine Behinderung angeboren.«
»Das würde natürlich seine unerwartete Stärke erklären«, nickte Dr. Gayot nach kurzem Überlegen. »Er muss sein Leben lang nur seine Arme benutzt haben, um sich fortzubewegen.« Und mit einem vielsagenden Blick zu Ben: »Falls es uns gelingen sollte, ihn zu bändigen, würde ich ihn mir gerne einmal näher ansehen.«
»Nachdem wir mit ihm geredet haben«, entschied Ben. »Immerhin ist er der Einzige, der uns sagen kann, was hier passiert ist.«
Das Erste, was Mira wieder bewusst wahrnahm, waren dumpfe Kopfschmerzen und der scharfe Geruch von Desinfektionsmittel. Verwirrt schlug sie die Augen auf und blickte in das Gesicht von Benoît. Er saß neben ihr und hielt den Rest einer Mullbinde in der Hand. Sein aufmunterndes Lächeln wurde von einer geschwollenen Lippe und einem dicken blauen Auge getrübt.
»Willkommen«, sagte er.
Mira wollte aufstehen, doch ein plötzlicher Schwindelanfall ließ sie wieder zurücksinken. Irgendetwas zwickte zudem unangenehm auf ihrer Stirn. Sie hob eine Hand, um die Stelle zu befühlen, doch Ben hinderte sie daran.
»Nicht anfassen!«, bestimmte er und hielt ihren Arm fest. »Ich bin noch nicht fertig mit dir.« Er schnitt einen langen Streifen Heftpflaster ab und klebte ihn vorsichtig auf Miras Stirn. »Okay«, sagte er, als er mit seinem Werk schließlich zufrieden war.
»Was ist denn passiert?«, murmelte das Mädchen.
Statt zu antworten, hielt ihr Ben einen Spiegel vors Gesicht. Mira machte große Augen, als sie den dicken Kopfverband sah, dann verzog sie gequält das Gesicht. »So soll ich rumlaufen?«
»Das war kein Kratzer«, erklang Dr. Gayots Stimme aus dem Hintergrund. »Ich musste die Wunde mit vier Stichen nähen. Erstaunlich, dass das Stirnbein an der betroffenen Stelle nicht zertrümmert wurde. Ihr Betas habt wirklich außerordentlich stabile Knochen. Eine kleine Narbe wird aber wohl zurückbleiben.«
Na toll, dachte Mira frustriert und befühlte den Verband. Jetzt bin ich noch hässlicher …
Ben warf ihr einen hintergründigen Blick zu, beließ es aber bei einem Stirnrunzeln. Während er Mira half, sich vorsichtig aufrecht hinzusetzen, erzählte er ihr, was an den Abfallgruben vorgefallen war. Der Raum, in dem sie sich aufhielten, entpuppte sich als Krankenzimmer des am Dorfplatz gelegenen Hospitals. Sein gesamter Boden war übersät mit Glasscherben, da die Frontscheiben durch die Explosion des Munitionsdepots geborsten waren. Durch die zerstörten Fenster erkannte Mira den mächtigen Rumpf des Riggers. Vor dem Hospital wurden Schritte laut, dann kam Jiril durch die aus ihren Angeln gerissene Tür stolziert.
»Schaut mal, was wir hier haben!«, rief er triumphierend und machte Platz für Delius, der einen bewegungslosen, nach faulem Gemüse stinkenden Körper ins Hospital trug.
»Das ist Jumper«, erkannte Mira erstaunt und rutschte vom Tisch.
»Hübscher Verband«, grinste Jiril, als er sie sah. »Steht dir. Kannst dich bei der halben Portion hier für die Schramme bedanken.«
Delius legte den bewusstlosen Jungen auf dem Behandlungstisch ab, auf dem Ben zuvor Mira verarztet hatte.
»Was ist passiert?«, fragte der Doktor und kam herbeigeschwebt.
»Delius hat ihm einen Energieriegel verpasst.«
»Energieriegel?«, wiederholte Mira zweifelnd.
»Einen Elektroschock«, erklärte Jiril grinsend. »Zwanzig Milliampere für zwei Sekunden. Bzzzzzz!« Jiril wackelte mit seinen Händen vor Miras Gesicht herum. »Jetzt ist er zahm wie ein Lämmchen.«
»Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich mit den Taten anderer brüsten«, sagte Mira.
»Und ich kann vorlaute Betas nicht ausstehen«, gab Jiril zurück.
»Ruhe!«, forderte Dr. Gayot. »Delius, Licht!«.
Der Roboter trat hinter den Tisch und ließ zwei seiner Kopfstrahler aufleuchten.
»Diese Deformation ist nicht angeboren«, erkannte der Doktor nach einer kurzen Untersuchung des Jungen. »Seine Beine und ein Teil seines Unterkörpers wurden amputiert – allerdings nicht sehr professionell, wie ich anmerken muss.« Er sah hinüber zu Mira. »Litt er an einer Krankheit oder war das ein Unfall?«
»Eine Sodra«, antwortete das Mädchen.
»Autsch«, machte Jiril und verzog das Gesicht. »Können wir nicht ins Institut zurückfliegen? Ich habe keine Lust, mein bestes Stück an eine riesige Sandmade zu verlieren.«
»Das wäre bestimmt kein großer Verlust«, bemerkte Mira.
Sie und der Alpha taxierten sich einige Sekunden lang
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