Das Aion - Kinder der Sonne
wurde. Die Plantagen selbst wurden über riesige, um die Brunnen rotierende Sprinkleranlagen bewässert, die aufgrund ihrer Länge auf kleinen Ballonstützrädern durch die Pflanzungen rollten.
Fast alle Bewohner des Dorfes hatten in den Oasen gearbeitet – bis auf Miras Vater und zwei Dutzend weitere Driller, die Brunnenbauer. Sie hatten die Pumpenhäuser gewartet oder bei Bedarf Bohrdrohnen für neue Brunnen gestartet.
Am nördlichen Rand der Oasen gab es eine Ansammlung kleiner, überdachter Gewächshäuser, in denen Obst und Gemüse gezüchtet wurde. Überragt wurden die Plantagen von einem halb verfallenen Gebäude, das sich wie eine riesige, hässliche Zackenkrone über die Felder erhob.
»Was ist das für eine Ruine?«, fragte Jiril.
»Der alte Zeppelinhangar«, erklärte Dr. Gayot. »Nach dem Absturz der Nathan haben die Farmer seine Seitenwände mit gebrannten Ziegeln verkleidet und das Dach mit einer dicken Lehmschicht bestrichen, sodass das Sonnenlicht nur an extra dafür ausgesparten Stellen durchdringen konnte. Auf diese Weise hatten sie die Halle in ein strahlengeschütztes Gewächshaus verwandelt mit Obstbäumen in der Mitte und Beeten für Nachtkräuter, Kartoffeln und anderen Schattengewächsen drum herum. Mangels Fachkenntnis war beim Verkleiden der Außenwände jedoch die Statik nicht berücksichtigt worden.«
Mira spürte, wie sich bei den Worten des Doktors unaufhaltsam ein dicker Kloß in ihrer Kehle zu bilden begann.
»Die Farmer hatten die Tragkraft der Stützstreben überschätzt, die für eine leichte Luftschiffhalle konstruiert worden waren«, fuhr der Doktor in seinem Monolog fort. »In den ersten Jahren ging alles gut, doch eines Tages setzte in dieser Region, die vor den Sonnenstürmen so gut wie keine Niederschläge gekannt hatte, eine ungewöhnlich lange Regenperiode ein. Die Ziegel und der von Hand aufgetragene Lehm sogen sich so lange mit Wasser voll, bis die Stützstreben dem auf ihnen lastenden Gewicht nicht mehr standhalten konnten. Als die Konstruktion schließlich nachgab, stürzten tonnenschwere Teile des Daches auf die Arbeiter herab …«
Ein verhaltenes Schluchzen veranlasste Ben, sich nach Mira umzusehen. Das Mädchen kauerte mit zusammengepressten Lippen auf seinem Sitz und starrte krampfhaft hinaus auf die Felder, die tränennassen Augen weit aufgerissen und am ganzen Körper zitternd.
»Beim Einsturz des Kuppeldachs kamen viele Farmer ums Leben«, fuhr der Doktor ungerührt fort. »Eine Ironie des Schicksals hatte dafür gesorgt, dass die meisten Opfer Frauen gewesen waren, die aus Angst vor Missgeburten oder Unfruchtbarkeit in der lichtgeschützten Halle gearbeitet hatten. Es war eine große Tragödie.«
Ben legte dem Doktor eine Hand auf die Schulter und bedeutete ihm mit einer stummen, aber eindringlichen Geste, das Thema zu wechseln.
»Verzeihung«, murmelte Dr. Gayot, als er den Grund dafür erkannt hatte. »Ich wollte nicht indiskret sein. Das Iférana-Unglück ist Teil des allgemeinen Geschichtsunterrichts. Ich ging davon aus, dass das Mädchen inzwischen einen gewissen Abstand zu den Ereignissen gewonnen hat. Schließlich war sie laut ihrer Vita selbst dabei …«
»Könnt ihr nicht endlich still sein!?«, schrie Mira mit tränenerstickter Stimme. »Einfach nur …« Sie holte krampfhaft Luft. »Einfach nur still sein?«, presste sie hervor. Dann sank sie in sich zusammen und weinte stumm vor sich hin.
Minutenlang herrschte an Bord des Riggers verlegenes Schweigen. Jeder sah in eine andere Richtung hinaus auf die vorbeiziehenden Felder.
»Wohin müssen wir?«, fragte Dr. Gayot schließlich in gedämpftem Ton, als Jiril mit dem Luftkissenfahrzeug immer langsamer wurde.
»Ich weiß es nicht«, gestand Ben. »Seit wir in den Oasen sind, empfange ich nichts mehr. Es ist, als hätte sich über die Quelle der Gedanken eine schützende Decke gelegt, die alles nach außen hin abschirmt.«
Dr. Gayot wies Jiril schließlich an, den Rigger vor der zentralen Pumpstation zu stoppen. Als die Antriebsrotoren verstummt waren, hörte man nur noch das ferne Zischen der Sprinkleranlagen.
Mira sprang als Erste aus dem Boot und ging langsam davon, in Richtung des Hangars. Ben sah ihr nachdenklich hinterher, gab den anderen jedoch zu verstehen, dass es besser sei, das Mädchen für eine gewisse Zeit mit seinen Gedanken allein zu lassen.
»Alle Systeme laufen«, berichtete Jiril nach einem raschen Kontrollgang durch die Pumpstation. »Die Sprinkler sind in Betrieb und
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