Das Aion - Kinder der Sonne
ihr die Luft wegblieb. Jumper zog sich heran und beugte sich mit dem Messer über sie. Seine Augen blitzten gefährlich.
»Du wirst so etwas nie wieder sagen!«, stieß er Wort für Wort hervor. Seine Stimme bebte vor Wut und sein Atem ging keuchend. »Nie wieder! Sonst fehlt dir auch bald ein Stück! Deine hübsche Nase vielleicht oder …« Sein Blick wanderte über ihren Körper. Er grinste und drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Lippen. »Nie wieder, kapiert!«, wiederholte er flüsternd. Ruckartig ließ er von Mira ab, stopfte ihre Beute zurück in den Rucksack und warf ihn ihr vor die Füße. »Ich erwarte dich morgen auf dem Markt. Sei pünktlich!«
Mira erhob sich wortlos, wobei sie ihren schmerzenden Rücken ignorierte. Saliv saß ruhig da und beobachtete das Geschehen.
Es war zwecklos, Jumper in dieser Situation zu widersprechen und ihn damit noch mehr zu reizen. Sollte er ihr Schweigen deuten, wie er wollte.
»Na los, steh auf!«, forderte Jumper Saliv barsch auf. »Geh zu Rico und beschaff mir etwas zu essen. Ich habe Hunger.«
Jedes Mal, wenn Mira den beiden begegnete, bedeutete das Ärger. Ärger für Mira wohlgemerkt, nicht für Jumper. Der bekam zumeist das, was er wollte. Er war ein äußerst verschlagenes Beispiel für einen Beta. Seine verkrüppelten Beine hatten ihn zu einem Außenseiter gemacht, und das Einzelgängerdasein hatte seinen Charakter verdorben. Manchmal wünschte sich Mira, eine Ambodruse zu ihm locken zu können … Jumper war kaum älter als Mira, doch er nutzte seine Kräfte den anderen gegenüber rücksichtslos aus. Nur ein einziges Mal hatte sie ihn schwach, fast hilflos erlebt: auf dem Friedhof, wo er still vor einem der Gräber gekauert hatte.
Der geistig etwas zurückgebliebene Saliv hing an ihm wie eine Klette. Er war Jumpers rechte Hand oder vielmehr: seine linke, denn Jumper behandelte ihn mehr wie einen Sklaven. Der arme Kerl gehorchte Jumper aufs Wort und machte sich in seiner naiven Treuherzigkeit für ihn die Hände schmutzig.
Missgelaunt lief Mira die inzwischen fast menschenleere Speichenstraße ins Dorfzentrum hinunter. Mittlerweile schienen sich alle Bewohner auf dem Dorfplatz eingefunden zu haben. Miras Neugier, was dort wohl für so viel Aufregung sorgte, war seit ihrer Begegnung mit Jumper ein wenig verflogen. Wieder wischte sie sich mit dem Ärmel ihres Umhangs über die Lippen, und als sie an einem Brunnen mit Handpumpe vorbeikam, wusch sie sich das Gesicht, bis ihre Haut vom kalten Wasser fast taub war. Was bildete sich dieser Widerling von Jumper eigentlich ein, sie zu küssen? War das etwa seine neue Masche?
Bis zum kommenden Morgen würde Mira sich überlegen, wie sie ihn auf dem Markt vor allen Leuten bloßstellen konnte. Irgendetwas würde ihr schon einfallen. Und falls nicht ihr, dann garantiert Bausch. Der Kapitän hatte immer eine gute Idee. Von grimmiger Genugtuung erfüllt, beschleunigte Mira ihre Schritte wieder. Etwas Außergewöhnliches ging dort auf dem Dorfplatz vor, und dank Jumper war sie wieder mal die Letzte, die erfuhr, was. Als sie jedoch kaum noch fünfzig Meter von dem Menschenauflauf entfernt war, erklang hinter ihr eine vertraute Stimme und rief ihren Namen.
Mira zuckte zusammen und drehte sich erschrocken um. Ein Ärgernis kommt selten allein, durchfuhr es sie, denn der hochgewachsene Mann, der forschen Schrittes auf sie zukam, war niemand anderes als ihr Vater. Er war in seinen hellbraunen Abendumhang gekleidet und hatte die Hände in schwarzen Ausgehhandschuhen verborgen. Seine Miene war ernst und gespannt und Mira deutete sie im ersten Moment als Zorn.
»Tut mir leid«, begann sie zu stottern, als ihr der Rucksack und dessen Inhalt bewusst wurden. »Ich dachte, es könnte … ach, Mist …«
»Ich habe dich bereits überall gesucht«, erklärte ihr Vater, als er sie erreicht hatte. »Wo hast du denn gesteckt?«
»Ach … ich hatte nur eine … äh … Besprechung …«
Ihr Vater hob zweifelnd die Augenbrauen. »Lass mich raten: mit deinem speziellen Freund Jumper?«
»Er ist nicht mein Freund!«
»Ah, schon hast du dich verraten.« Er klopfte ihr den Staub aus dem Mantel. »Und, wie ist deine Besprechung verlaufen?«, fragte er scheinheilig. »Was tut dir heute weh?«
Mira schnaubte. »Nichts.«
»Na, dann ist ja alles bestens.« Er legte eine Hand auf ihre Schultern und zog sie mit sich. »Komm, wir sollten uns jetzt beeilen.«
»Was ist denn eigentlich los?«
»Hast du gejagt?«, erkundigte ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher