Das Aktmodell
verbrachte er damit, durch die Boulevards zu laufen, bis die Dämmerung ihren purpurnen Schleier über sein Gesicht warf und die Gaslampen der Straßen schwach zu flackern begannen. In den Häusern leuchteten erste Lichter auf.
Er konnte nicht malen. Konnte nicht schlafen. Heute Nacht würde er einen Plan schmieden, denn er wusste, wie schnell ein Mädchen in St. Lazare seine Würde verlieren und sich dem Bösen unterwerfen konnte. In Orgien wurde der lesbischen Dichterin Sappho gehuldigt, indem die Frauen sich gegenseitig leckten und an ihren Mösen saugten, während verschmähte Weiber sich ihre Mithäftlinge mit einem Messer gefügig machten.
Er hatte eine Idee, und er brütete über Stunden, bevor ihm klar wurde, dass sie seine einzige Chance war.
Wenn die Zeit gekommen war, würde Madame Chapet, die berüchtigte Herrin des Hauses an der Rue des Moulins, dem Gefängnis einen Besuch abstatten, um Lillie de Pontier freizukaufen. Er musste sie überzeugen, dass Autumn einen noch viel größeren Wert für ihren Kreis von
dégrafées
, unabhängigen Mädchen, besaß und dass sie ein Gewinn für ihr
Maison de Tolérance
, dem lizenzierten Bordell am
Palais Royal
, wäre.
Es war ein Risiko, die Hilfe von
La Madame
zu erbeten, die ihn konstant bedrängte, ihr eine Einladung zu einer schwarzen Messe zu besorgen. Aber es gab keinen anderen Weg aus St. Lazare. Wie lange würde Autumn dort unten in der Hölle von St. Lazare noch durchhalten? Paul stieß seinen angehaltenen Atem aus. Einen Tag? Eine Woche? Einen Monat? Keine lange Zeit, die einem dort aber wie eine Ewigkeit vorkäme.
10. KAPITEL
M erde.
Madame Chapet machte Paul wahnsinnig. Sie flirtete mit ihm, füllte ihn mit Brandy ab und versuchte ihn gegen seinen Willen zu verführen. Und diese zwei Staubwedel in Schwarz und Weiß, die sich Hunde nannten. Louis und Pompie. Widerliche kleine Tiere mit kalten schwarzen Schnauzen und pinkfarbenen Zungen, die die Möse ihres Frauchens leckten, wenn man den Gerüchten glauben durfte.
Paul trank noch einen Brandy und ärgerte sich, dass er seinen Flakon nicht mit der grünen Fee aufgefüllt hatte, bevor er zu dem Haus in der Rue des Moulins gegangen war. Er war gekommen, Autumn zu befreien und nicht wegen dieses fleischigen Bergs mit blonden Locken, purpurnen Taftröcken und zwei Hunden auf dem Schoß. Die Madame versprach einem Mann viele Dinge, wenn er nur genügend Goldstücke und einen Ständer in seiner Hose hatte.
Paul hatte weder noch, trotz der halb nackten Schönheiten, die sich im Empfangsbereich des Bordells aufhielten und an Taubentörtchen, Pinienkernen und cremigen Mandelstückchen knabberten. Ein Mädchen versuchte seine Aufmerksamkeit zu erhaschen, indem sie die Sahne von ihren Fingern leckte, ihre Zunge rollte und damit über ihre mauvefarbenen Lippen strich. Ein sinnliches Versprechen.
Doch er hatte keinen Appetit auf Sex. Wie die meisten Franzosen, die sich in Bordellen herumtrieben, kannte er all die erotischen Spiele der Prostituierten. Wie sie ihre Hinterbacken an ihm rieben, die langen, schlanken Beine mit schwarzen Seidenstrümpfen bekleidet und mit Strapsen, die mit zitronengelben Rosen verziert waren. Nackte Brüste, an deren Nippeln goldene Ringe wippten. Die Mädchen würden seinen harten, in der engen Hose gefangenen Penis berühren und sich dann mit ihren langen Fingern einen Weg unter den Stoff bahnen, um die Größe und Form seiner Erektion zu fühlen. Das Leben sei schwierig, sagten sie.
L’amour
sei die Antwort,
n’est-ce pas?
Für Paul war die Kunst viel schwieriger. Das Leben folgte einem natürlichen Rhythmus von der Zeugung bis zum Tod. Aber die Kunst verfolgte einen mit ihrer niemals enden wollenden Suche nach Perfektion, einer Suche, die ihn ständig antrieb. Immer weiter. Und weiter. Bis er es nicht mehr aushielt.
Wegen seiner Kunst hatte er die undenkbare Sünde begangen: Er hatte seine Seele verkauft. Nächte voller schwarzer Magie, unter dem Bann der Comtesse, die seinen harten Penis in ihren Händen rollte und den ägyptischen Gott Min anrief, er möge ihm ewige Jugend schenken und ihm die verlorenen Jahre zurückgeben, in denen er nicht zeichnen und malen durfte. Jahre, in denen er unter den Schlägen seines Stiefvaters verkümmerte.
Und jetzt musste er den Preis dafür zahlen.
Er musste das Mädchen aufgeben, das sein Herz gestohlen hatte.
Sie ist nicht wie diese Mädchen, für die Liebe nur ein Geschäft bedeutet. Ihre Gesichter sind gezeichnet von verlorenen
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