Das Aktmodell
mit ihren ekelhaften kleinen Zungen abschleckten.
Paul verzog angewidert sein Gesicht. Wo hatte er den Engländer schon einmal gesehen? Für ihn waren es alles Barbaren in Tweed, die mit rot eingebundenen Reiseführern unterm Arm durch die Straßen von Paris stapften und seine Sprache mit ihrem unsäglichen Akzent verunstalteten. Aber dieser hier kam ihm unheimlich bekannt vor.
“Dann veranlasst alles, um das Mädchen herzubringen”, befahl der englische Lord. “Ich warte auf sie.”
Paul fiel es wie Schuppen von den Augen. Les Halles.
Le bâtard anglais.
Der englische Bastard.
“Euer Warten wird jedoch vergeblich sein, Monsieur”, sprach Paul, stand auf und schwang sich sein schwarzes Cape um die Schultern. “Das Mädchen gehört mir.”
Der Engländer verengte die Augen. “Euch, Monsieur? So wie Ihr ausseht, bezweifle ich, dass Ihr sie Euch leisten könnt.”
“Und bei Eurem Aussehen, Monsieur, bezweifle ich, dass sie sich von Euch berühren lässt.”
“Was für eine Frechheit! Wenn ich nicht in so einem angesehenen
maison privée
wäre, würde ich Euch herausfordern …” Die Augen des Engländers leuchteten auf. “Mich laust der Affe, wenn das nicht der Verrückte aus Les Halles ist!”
“Stets zu Diensten, Monsieur”, sagte Paul und verbeugte sich mit einer schwungvollen Bewegung seines Capes, allerdings ohne den Engländer dabei aus den Augen zu lassen. “Ich nehme die Herausforderung gern an. Jederzeit!”
“Wieso sollten wir warten, Monsieur? Ich bin auch jetzt schon bereit, Euch von Ohr zu Ohr aufzuschlitzen.”
“Ich werde Euch zuvorkommen …”
Madame Chapet unterbrach die beiden. “
Zut alors
, ah, ich kann kaum atmen, Messieurs, mit all diesem Gerede über Kämpfen.”
Paul beobachtete mit Erstaunen, wie sie ihre Augen rollte, ihre Unterlippe zu zittern begann und sie weißer wurde als der Reispuder, den sie über ihr Gesicht gestäubt hatte. Sie konnte ihn nicht täuschen.
La Madame
wusste von seinen Fähigkeiten als Boxer und wollte nicht das Risiko eingehen, einen so reichen Kunden wie den englischen Lord zu verlieren. Die Gier dieser Frau überraschte ihn nicht. Er schaute sich in dem geschmackvoll eingerichteten Empfangszimmer um, auf die teuren Tischchen und mit Seide bezogenen Stühle. In mahagonibraunen Lederkästchen lagen dünne Papiertücher bereit, und die Wandteppiche und Stuhllehnen waren mit wertvollen Damaststickereien verziert. Sie war eine Frau mit einem kostspieligen Geschmack.
“Ich will Euch nicht aufregen, Madame Chapet”, sagte Lord Bingham, ohne dabei seine Augen von Paul zu lassen. “Aber dieser Mann hat mich beleidigt.”
“Monsieur Borquet wollte sowieso eben gehen,
n’est-ce pas?”
, sagte
La Madame
und setzte ein falsches Lächeln auf.
“Borquet?” Der Engländer grinste breit, und das irritierte Paul mehr, als wenn er ihm einen Hieb versetzt hätte. “Der Maler?”
“Ja, ich bin Paul Borquet”, sagte der Franzose, aber das ausdrückliche Vergnügen des Briten an der Aufdeckung seiner Identität gefiel ihm nicht. “Amüsiert Euch das?”
“Zwischen uns ändert das nichts. Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass Ihr so … jung seid. Meine Informationen müssen falsch gewesen sein.”
“Welche Informationen?”, fragte Paul.
“Ich … äh … habe Eure Bilder in London gesehen”, wich Lord Bingham aus. “Ich ahnte nicht, dass Ihr genauso ein Verrückter seid wie dieser van Gogh.”
“Jetzt habe ich endgültig genug von Euch, Monsieur …” Paul hob seine Fäuste, bereit, auf den englischen Lord einzuschlagen.
“Hört sofort auf, Monsieur Borquet”, rief Madame Chapet, kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. “Verlasst auf der Stelle mein Etablissement.”
Paul riss sich zusammen, auch wenn der Ärger immer noch in ihm brodelte. “Ich werde gehen, Madame Chapet, aber nur wenn Ihr versprecht, Mademoiselle Maguire zu helfen.”
Madame seufzte tief. “Sobald es mir bessergeht, werde ich mich darum kümmern. Und jetzt verschwindet, Monsieur Borquet, bevor ich meine Meinung ändere.”
Paul schlug die Tür hinter sich zu und sprang die Stufen hinunter. Die Madame war unmenschlich, ein Monster mit Locken.
Wie konnte sie nur dem Engländer eine Nacht mit der Rothaarigen versprechen?
Sobald er das Haus verlassen hatte, begann das Feilschen. Er konnte hören, wie der Engländer der Madame erklärte, dass er zwar auf Geschäftsreise für sein Familienunternehmen sei, aber trotzdem auch nach Vergnügungen suche. Madame Chapet
Weitere Kostenlose Bücher