Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Lagerfeld folgten Siebenstädter in den Sektionssaal, der sich im Erdgeschoss befand.
Auf dem hellgrau gefliesten Boden standen vier Tische aus Kunstmarmor in einer Reihe nebeneinander. Auf der rechten Seite waren an den Fenstern entlang die Stahlwägen mit Proben und allerlei Utensilien aufgebaut, von denen man als Laie nicht wirklich wissen wollte, wozu sie eigentlich gut waren. Der Pathologe führte sie an den ersten Tisch und rief die Gruppe Medizinstudenten herbei, die sich am Ende des Raums mit einem geöffneten Körper beschäftigten.
Wunderbar, der Herr Professor hat sich also Publikum für seine glanzvolle Vorstellung organisiert, dachte Lagerfeld säuerlich.
»Meine Damen und Herren, Sie sehen hier eine männliche Leiche aus Kulmbach. Die haben wir erst heute früh hereinbekommen, ist sozusagen noch ganz frisch, haha.« Selbstzufrieden lachte Siebenstädter über seinen Witz. Als er bemerkte, dass niemand seinen Humor zu teilen schien, fuhr er mit einem verärgerten Räuspern fort. »Also, betrachten Sie hier bitte die Einschussöffnung, mein lieber Kommissar«, wandte er sich nun Haderlein zu und deutete auf die Stirn des Toten.
Der Hauptkommissar beugte sich über den Kopf und schaute dann wieder Siebenstädter fragend an. »Eine Schusswunde, würde ich sagen?«, meinte er in einem Ton, der irgendwo zwischen Verärgerung und Hilflosigkeit angesiedelt war. Er hatte es eilig und wollte diese alberne Frankensteinvorstellung schnellstmöglich hinter sich bringen. Siebenstädter schaute ihn mit einem überlegenen Grinsen an und führte die Gruppe zum nächsten Tisch. Dort lag eine weibliche Tote, ebenfalls mit Loch im Kopf.
»So, Herr Junior-Kommissar«, sagte Siebenstädter süffisant zu Lagerfeld, »und was fällt unserem Bamberger Kriminalisten an dieser Toten auf?«
Lagerfeld hatte Mühe, überhaupt über die riesigen Brüste hinwegzuschauen, die schlaff an den Seiten der Leiche hinunterhingen. Sicherheitshalber steckte er seine Sonnenbrille weg. Er hatte Angst, dass sie aus Versehen in eine der geöffneten Leichen hineinfiel. So, wie er Siebenstädter einschätzte, würde er sie dann bestimmt selbst wieder aus den Eingeweiden herauspopeln müssen. Dann konzentrierte er sich auf die Verletzungen der Frau, konnte aber auch nur ein Einschussloch in der Stirn feststellen. Der siegessichere und arrogante Gesichtsausdruck von Siebenstädter verstärkte sich zusehends.
»Gut, meine Damen und Herren«, rief er fröhlich, »wenden wir uns nun dem dritten Opfer zu.«
Auf sein Geheiß hin marschierte die ganze Mannschaft zu dem Tisch, auf dem die verkohlten Überreste des Mannes aus dem ausgebrannten Auto vom Staffelberg lagen.
»Herr Kommissar, wenn Sie mal genau hinschauen möchten«, bat Siebenstädter Lagerfeld, sodass sich dieser wieder über den Tisch beugen musste, um die Einschussöffnung am Kopf des Opfers zu betrachten. Der skelettierte, verkokelte Leichnam roch dermaßen penetrant, dass sich mehrere der umstehenden Studenten die Nase zuhalten mussten, um sich nicht zu übergeben, doch Lagerfeld machte das nichts aus. Ausgiebig betrachtete er das kleine Loch und zuckte dann mit den Schultern.
»Hm«, sagte er. Sonst nichts. Weder gab er würgende Geräusche noch sonstige Kommentare des Ekels von sich.
Siebenstädter schaute ihn ehrlich enttäuscht an. Schade, hier hatten sich schon ganz andere ihres Mageninhalts entledigt. Verärgert räusperte er sich erneut und begann seinen sorgfältig vorbereiteten Vortrag.
»Nun, meine lieben ahnungslosen Anwesenden, als Erstes fiel mir als langjährigem Gerichtsmediziner und Leiter dieses in der Fachwelt hochgeachteten Hauses auf, dass die Einschussöffnung etwas zu groß für ein gängiges Kaliber ist. Als ich exakt nachmaß, stellte ich ein Kaliber von 9,7 Millimetern fest. Und zwar bei allen Opfern, die wir hier sehen. Das heißt, dass diese Menschen mit der gleichen Waffe getötet wurden. Übrigens kommt noch ein Teppichhändler aus Kronach hinzu, aber der liegt noch unten im Kühlraum. Doch damit nicht genug«, beifallheischend suchte er die Blicke der Anwesenden, um seinen Triumph auszukosten, »wenn Sie die Einschussöffnung exakt vermessen, so stellen Sie fest, dass der Schütze ein außerordentliches Auge besitzen muss. Die Stirn der Opfer wurde nämlich nicht mittig getroffen, sondern jedes Mal um circa fünf Millimeter nach links versetzt. Besonders an diesem verkohlten Kopf hier ist das gut zu erkennen.« Er blickte um sich, aber niemand der
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