Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
obligatorische feuchte Zigarre zwischen seinen Fingern hin und her.
Driesel wirkte auf einmal leicht gequält, Lagerfeld begnügte sich damit, seine Augen mit der rechten Hand zu bedecken, und Dr. Newman schwieg perplex.
»Ich schau mal draußen, was das Phantombild macht«, entschuldigte sich Lagerfeld und überließ die beiden Nürnberger Gäste ihrem Schicksal im Glaspalast.
»Alles klar?«, fragte er Manuela Rast, die ziemlich still neben ihrem Sohn saß. Haderlein hatte es geschafft, ihn in der Dienststelle unter die Aufsicht seiner Mutter zu stellen. Müde nickte sie dem Kommissar zu, als der versuchte, sie aufzumuntern. Immerhin hatte das Phantombild schon ziemlich konkrete Züge angenommen. Der Mann war relativ alt, trug Rastalocken, und die Gesichtszüge, die sich herauskristallisierten, kamen Lagerfeld seltsam bekannt vor.
»Aber das gibt’s doch nicht!«, rief er plötzlich fassungslos, als ihm klar wurde, wen das Bild darstellte. »Der heißt Wurm, Stefan Wurm aus Forchheim! Ich besorge sofort einen Haftbefehl und lass den Kerl herbringen. Das ist ja nicht zu fassen.«
Manuela Rast und ihr Sohn blickten sich noch verständnislos an, als Kommissar Bernd Schmitt schon kopfschüttelnd zum Telefon griff.
*
Haderlein hatte gerade seinen Multipla auf dem Parkplatz neben der Gangolfskirche abgestellt. Sein Retter in der Not wohnte in dem Haus am Gangolfsplatz mit der alten Hausnummer 913. Schon lange war das nicht mehr die richtige Nummer, aber in den Jahren 1803 bis ungefähr 1850 waren in Bamberg alle Häuser mit Zahlen versehen worden – ohne sich an Straßennamen zu orientieren. So konnte es in jener Zeit vorkommen, dass das Haus 21 vom Haus 22 durch die gesamte Innenstadt getrennt war. Der Unsinn hatte ein Ende, als niemand mehr per Hausnummer gefunden werden konnte. Auch dieses Wissen verdankte Haderlein dem Mann, der ihm gerade die Tür öffnete.
»Der Herr Kriminalhauptkommissar? Was verschafft mir denn die unverhoffte und unangemeldete Ehre?«, begrüßte ihn Prof. Dr. Egidius Habermehl, seines Zeichens Kulturhistoriker und Spiritus Rector der Bamberger intellektuellen Bierkellerszene. Prof. Dr. Habermehl pflegte ein Erscheinungsbild, als wäre er soeben der Rühmann’schen Feuerzangenbowle entsprungen. Er trug Schnauzbart, eine bräunlich karierte Weste, Stoffhose und hatte eine kleine Nickelbrille auf der nicht zu übersehenden Nase sitzen. Einen Führerschein besaß der Professor ebenso wenig wie Verständnis für das strenge bayerische Nichtrauchergesetz, weshalb Franz Haderlein auch bei jedem seiner Besuche eine Wolke Zigarettenqualm aus der geöffneten Haustür entgegendampfte. In der Raucherfrage verstand sich Habermehl definitiv besser mit Lagerfeld, in allen anderen Fragen das Leben betreffend dagegen eher nicht.
»Wissen Sie wieder mal dienstlich nicht weiter, Herr Kommissar?«, stellte Professor Habermehl mehr fest, als dass er fragte. Eigentlich freute er sich immer, wenn Haderlein vor seiner Tür auftauchte, wollte es aber nicht so offensichtlich zugeben.
»Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen, aber ich muss Sie leider bitten, mit mir zu kommen. Das Problem, das wir diesmal zu lösen haben, duldet keinen Aufschub«, erklärte er.
Der Professor musterte ihn kurz hinter seiner Nickelbrille. Dann seufzte er und griff scheel grinsend nach seinem Mantel. »Die Spesen trägt doch wie immer die Bamberger Polizei?«
Aha, lächelte Haderlein in sich hinein, der Professor war mal wieder pleite. Das passierte ihm öfter. Doch sein chronisches Loch im Geldbeutel rührte mitnichten, wie man vermuten könnte, von fehlendem Sachverstand, sondern von der unglaublichen Sturheit, mit welcher der Professor Lehraufträge und Expertisen ablehnte. Wenn ihm der Auftraggeber oder die angebotene Aufgabe an sich nicht passte, schlug er demjenigen sein Ansinnen ohne Rücksicht auf Verluste metaphorisch um die Ohren. Aus diesem Grund fanden sich in Bamberg etliche Leute, die mit Professor Habermehl nichts mehr zu tun haben wollten. Die einzige Bevölkerungsgruppe, die ihn wirklich gern hatte, waren die Bamberger Wirte und Weinstubenbesitzer. Aber auch das schien sich zu ändern, denn seit der Einführung des Rauchverbots war er schon mal der einen oder anderen Gaststube verwiesen worden, weil er den Wirt als nichtrauchenden Speichellecker beschimpft hatte. Kurz gesagt: Der Umgang mit Prof. Dr. Egidius Habermehl war nicht immer vergnügungssteuerpflichtig.
»Was gibt’s denn so Wichtiges,
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