Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
nachstanden.
Der Professor brach in lautes Lachen aus, das im Kirchenschiff widerhallte. »Nicht schlecht, der Kleine«, meinte er anerkennend, während er sich noch immer lachend mit ausgebreiteten Armen im Kreis drehte. Dann musste er sich auf eine Kirchenbank setzen, weil ihm schwindlig geworden war. »Also«, klärte er, begeistert von Clemens’ Kreativität, die anderen auf, »dieser Dom wurde zwar nicht von einem Ludwig gebaut, aber Ludwig I. von Bayern hat dieses Gotteshaus um 1830 herum völlig renovieren lassen. Alles, was nicht zum Mittelalter gehörte – also Stuck und das ganze Barockzeugs –, wurde herausgerissen oder in die Klosterkirche der Benediktiner St. Michael gebracht. Die ganzen Innereien des Doms befinden sich also auf dem Michelsberg. Damals gab es eine Gegenbewegung zum Barock. Wir sind hier also ganz und gar falsch. Ludwigs Dom ist die Benediktinerkirche St. Michael. Und der Bischof von Rom ist auch nicht Clemens II ., sondern der heilige Bischof Otto von Bamberg, der auf dem Michelsberg begraben liegt. Der Namenspatron des Ottonianums. Wenn wir diese Zeilen verstehen wollen, müssen wir jetzt auf den Michelsberg.«
In der heraufziehenden Dämmerung beobachtete Nikolai die vier Männer, wie sie in aller Eile aus dem Dom herauskamen und eifrig diskutierten. Ein Buch hatten sie, soviel er sehen konnte, nicht dabei, dafür aber verfügten sie offensichtlich über neue Erkenntnisse. Während der Fiat an ihm vorbei Richtung Torschuster den Berg hinaufschoss, startete Nikolai seinen Wagen und ließ den Land Rover langsam aus der alten Hofhaltung herausrollen. Er hatte es im Gefühl, dass das Geheimnis dieses verschwundenen Buchs bald gelüftet werden würde. Mit ausgeschalteten Scheinwerfern folgte er dem Auto der Bamberger Polizei.
*
Lagerfeld bremste direkt vor den Stufen der Freitreppe, die zur Benediktinerkirche St. Michael hinaufführte. Habermehl sprang als Erster aus dem Auto und lief die Stufen Richtung Eingang im Eiltempo hinauf.
»Moment mal, Herr Professor«, rief Haderlein ihm hinterher. Doch Habermehl witterte die Lösung des Rätsels und war, so hatte Haderlein den Eindruck, gerade nicht für vernünftige Argumente zu haben.
Dank der exponierten Lage auf dem Hügel war es in der Michaeliskirche noch etwas heller als im Dom. Als Habermehl zur Gewölbedecke aufschaute, musste er schon wieder kichern.
»Ein wirklich ungewöhnlich cleveres Kerlchen«, brachte er heraus. »Der ›Hort mit dem Garten am Fluß‹. Sehen Sie hinauf, da oben haben Sie ihn.«
Die anderen, die es nun auch in die Kirche geschafft hatten, blickten planlos an die Decke. Zwar waren irgendwelche Gemälde von Pflanzen zu erkennen, aber von einem Garten oder einem Fluss fehlte jede Spur.
Doch Professor Habermehl erlöste sie gnädig aus ihrer Unwissenheit. »Das, was Sie da oben sehen, meine Herren, ist eine Pflanzensammlung von fünfhundertachtzig Exemplaren. Aufgebracht als Verzierung des Deckengewölbes. Das Mittelschiff, die Seitenschiffe, das Querschiff, die Vierung und sogar die Westempore sind mit diesen Pflanzen ausgemalt worden. Ein einmaliges Deckengemälde. Einzigartig in Europa.« Habermehl verlor sich in seinem eigenen Staunen und seiner Ehrfurcht.
»Aber wo soll denn da ein Fluss sein?«, fragte Lagerfeld verzweifelt. »Ich seh keinen.« Die anderen nickten zustimmend.
Wie durch einen Zauber erwachte Habermehl aus seiner Selbstvergessenheit. »Hier ist auch kein Fluss zu finden«, erklärte er stolz. »Den gibt es nur im übertragenen Sinne. Dieses Deckengemälde zeigt die Pflanzen eines realen Gartens um 1600 an der Altmühl. Den sogenannten ›Hortus Eichstättensis‹ des Fürstbischofs von Gemmingen, der als Kupferstich überliefert wurde. Der Garten wurde um 1600 im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden zerstört und existierte somit nur wenige Jahre: ›Zertreten von schwedischem Fuß‹.«
»Der Fluss ist also die Altmühl, und wir sind hier definitiv richtig?« Jetzt begann es auch bei Lagerfeld langsam zu dämmern. War er bisher den Gedankensprüngen von Habermehl nur mühsam oder überhaupt nicht hinterhergekommen, so reifte in ihm nun die vermeintliche Lösung heran. »Der Bischof!«, rief er voller Erregung. »Na klar! Das Buch ist in dem Grabdurchgang vom Otto!«
Mit diesen Worten rannte er zum Grabdenkmal von Bischof Otto von Bamberg. Haderlein und Newman ließen sich von Lagerfelds Begeisterung mitreißen und folgten ihm. Das reich verzierte Grab des heiligen Otto am
Weitere Kostenlose Bücher