Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
richtig verstehe, dann haben Sie sich Ihren Verdacht nur aus den Fingern gesogen, weil mein Mandant lautstark gegen den Ermordeten gewettert hat. Und zwar nach dessen Tod. Finden Sie es etwa logisch, wenn ein Mörder etwas derartig Dämliches in aller Öffentlichkeit tun würde?«
Stimmt, das hatte er sich auch schon überlegt. Haderlein schwieg nachdenklich.
»Außerdem«, und jetzt blickte Preller Haderlein höhnisch lächelnd an, »außerdem haben Sie nicht den allerkleinsten Beweis für Ihre Anschuldigungen. Oder sehe ich das falsch?« Knallend klappte er den Ordner zu und warf ihn zurück auf den Tisch, um den herum sie saßen.
Haderlein erwiderte nichts, sondern starrte stattdessen Joe Scheidmantel an, der es umständlich vermied, seinen Blick zu erwidern.
»Herr Kommissar, wenn Sie nicht mehr gegen meinen Mandanten vorzubringen haben, möchte ich Sie bitten, ihn auf der Stelle freizulassen!«
Der Hauptkommissar beugte sich so weit über den Tisch, wie er nur konnte. Scheidmantels Nase war nur noch zwanzig Zentimeter von der seinen entfernt. Stur versuchte der unter Verdacht Stehende, Unregelmäßigkeiten im einheitlichen grauen Lack des Vernehmungstischs auszumachen.
»Joe«, Haderleins Stimme hatte einen sanften Klang angenommen, »Joe, ich weiß, dass du was weißt. Irgendwas verheimlichst du mir hier. Ehrlich gesagt glaub ich nicht wirklich daran, dass du Rast umgebracht hast. Aber egal, was du weißt, es ist besser, wenn du bald damit rausrückst. Sonst wird das böse enden mit dir. Es geht immerhin um Mord, Joe!«
»Ich weiß, aber ich war daheim«, presste Scheidmantel mit schwacher Stimme heraus, den Blick immer noch starr auf die graue Tischplatte gerichtet.
»Jetzt lassen Sie doch Ihre albernen Spielchen, Haderlein«, mischte sich Preller wieder ein, »also, was ist nun? Haben Sie noch etwas gegen Herrn Scheidmantel vorzubringen oder nicht? Falls nicht, dann lassen Sie uns jetzt bitte gehen.« Während er sich räusperte, warf er einen verstohlenen Blick auf seine Uhr.
Haderlein wusste, dass der Anwalt recht hatte. Spätestens am Nachmittag müsste er Joe sowieso wieder auf freien Fuß setzen.
»Dann nehmen Sie ihn halt mit, Ihren … Mandanten«, gab der Hauptkommissar nach. Er war sich sicher, dass bei Scheidmantel die Zeit für ihn arbeiten würde. Die Zeit und noch jemand, den er aber noch nicht kannte. »Joe«, rief er Scheidmantel noch hinterher, als der gerade mit Preller durch die Tür gehen wollte. Erschrocken drehte er sich um und starrte ihn an. Aber Haderlein ging ihm nur entgegen und streckte ihm seine Karte hin. »Sag deiner Doris, dass ich sie sprechen möchte. Sie möge sich doch in den nächsten Tagen hier einfinden. Ansonsten wünsche ich dir noch einen schönen Tag«, spottete er und tippte sich zum Gruß mit zwei Fingern an die Stirn. Du wirst schon noch reden, mein lieber Joe, dachte er bei sich, dann ging er wieder Richtung Büro.
*
Obwohl die Stimme am Telefon kühl und eindeutig war, musste er nochmals nachfragen. Aber er hatte alles richtig verstanden. Nur glauben konnte er es nicht. Schnell gab der wohlbekannte Sprecher mehrere Befehle und Daten durch, sodass er mit dem Schreiben gar nicht mitkam. Das würde mit Sicherheit länger dauern, aber sie würden den Auftrag erledigen. Das hatten sie bis jetzt immer getan. In Tschetschenien war so etwas Tagesgeschäft gewesen. Aber in Deutschland musste man vorsichtiger sein. Die Bullen hier waren schnell und mit modernster Technik ausgestattet. Da konnte man nicht einfach so Leichen übereinanderstapeln, Benzin rübergießen und anzünden. Aber aus diesem Anfängerstadium der Auftragsabwicklung war er sowieso hinausgewachsen. Aus ihm war längst ein Profi geworden. Die Ausbildung beim russischen Geheimdienst war gut und gründlich gewesen, und er hatte sich einen verdammten Namen im internationalen Geschäft gemacht. In Europa gab es keinen Besseren, Schnelleren und Präziseren als ihn. Bei entsprechender Vorbereitung war der Auftrag durchaus zu erledigen, aber das Zeitfenster war extrem eng. Genau deswegen hatte er sich auch Hilfe aus seiner Vergangenheit geholt. Igor fragte nicht und war zuverlässig. Den tiefen Teller hatte er zwar nicht erfunden, aber zum Denken war er ja auch nicht engagiert worden.
»Schaffst du das? Ich verdopple auch die Kohle«, forderte die Stimme eine schnelle Entscheidung.
Er schaute zu Igor, der neben ihm stand und über die Freisprecheinrichtung alles mitgehört hatte. Der nickte kurz.
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