Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
probiert, er war ja noch im Dienst, Bruder Anselm hingegen hatte mit großer Freude dem Bier zugesprochen und dabei begeistert Geschichten aus seinem Kloster erzählt. Haderlein wollte nun endgültig gehen, als sein Handy klingelte.
»Was?«, rief er ins Telefon und stopfte sich einen Finger ins andere Ohr, um bei dem Krach in der Gaststube überhaupt etwas zu verstehen.
Bruder Anselm sah, wie das Gesicht des Kommissars sehr ernst wurde und er aufmerksam zuhörte. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, stand er auf und gab Pater Anselm die Hand.
»Tut mir ehrlich leid, Pater, aber ich muss jetzt schnellstens nach Bamberg zurück. Die Pflicht ruft. Und zwar laut.«
Bruder Anselm schüttelte ihm die Hand, dass er glaubte, sie würde gleich abfallen. »War mir eine große Freude, Herr Kommissar!«, rief er, um die Geräuschkulisse der Gaststube zu übertönen.
Als Haderlein in sein Auto stieg, wählte er sicherheitshalber noch einmal die Nummer von Honeypenny, um sich zu vergewissern, dass er auch alles richtig verstanden hatte.
»Sie haben schon richtig gehört«, sagte sie mit selten ernster Stimme. »Ich glaube, es wird wirklich Zeit, dass Sie zurückkommen. Jetzt geht’s rund.«
Kriminalhauptkommissar Haderlein startete seinen Wagen und verließ den Kreuzberg in Richtung Heimat. Im Moment von Honeypennys Anruf hatte der bisher so friedliche Sommer nun endgültig seine Beschaulichkeit verloren.
Clemens
»Da die Jugend, wenn sie nicht in der rechten Weise unterwiesen wird, dazu neigt, weltlichen Vergnügungen zu folgen, und da sie niemals ohne sehr große und beinahe außerordentliche Hilfe des allmächtigen Gottes in vollkommener Weise bei der kirchlichen Zucht bleibt, wenn sie nicht von frühem Alter an – bevor noch der Hang zum Bösen den ganzen Menschen erfasst – zu Frömmigkeit und Religion angehalten wird, setzt die Heilige Versammlung Folgendes fest:
Die einzelnen Kirchen sollen gehalten sein, entsprechend ihren Möglichkeiten und der Größe der Diözese, eine bestimmte Zahl von Knaben aus ihrer Stadt und ihrer Diözese in einem Kolleg, das dazu in der Nähe dieser Kirchen oder einem anderen passenden Ort vom Bischof auszuwählen ist, zu verköstigen, religiös zu erziehen und in den kirchlichen Wissenschaften zu unterweisen.
In diesem Kolleg sollen solche Knaben Aufnahme finden, die wenigstens zwölf Jahre alt sind und aus einer rechtmäßigen Ehe stammen, hinlänglich lesen und schreiben können und deren Anlagen und guter Wille hoffen lassen, dass sie auf Dauer für den kirchlichen Dienst zur Verfügung stehen wollen.«
Nach »Seminarium Ernestinum«, Bamberg
*
In den Anfangszeiten war das Knabenseminar noch im Erdgeschoss des Priesterseminars am Bamberger Maxplatz untergebracht gewesen. Da es jedoch immer wieder zu wenig Priester gab, beschloss man, es zu vergrößern. Für die Erweiterung waren die Wohnräume des damaligen Weihbischofs vorgesehen.
1882 unterstellte der Erzbischof das Knabenseminar einer eigenen Leitung und gab ihm zur Erinnerung an den großen Bamberger Bischof Otto I., der noch immer in der Barockkirche auf dem Bamberger Michaelsberg begraben liegt, den Namen Ottonianum.
Derartige Geschichtskenntnisse über das Knabenseminar und Bamberg waren für Clemens Martin eine alberne Übung. Mit seinen erst fünfzehn Jahren war er seinen gleichaltrigen Mitschülern haushoch überlegen. In seinen Zeugnissen fand sich ausnahmslos die Note »Eins«. Ein einziges Mal hatte er sich einen Dreier beim Schulsport am Franz-Ludwig-Gymnasium eingefangen. Trotz Magen-Darm-Grippe war er im Sommer 1973 zur Leichtathletikprüfung angetreten und hatte aus Stolz die Erkrankung verschwiegen. Clemens Martin war ein Spitzenschüler – im naturwissenschaftlichen Bereich geradezu genial. Noch dazu war er mit einem ansehnlichen Äußeren gesegnet, was ihm schon mehrere Titelbilder auf Schülerzeitungen oder Stadtmagazinen eingebracht hatte.
Die Lehrkräfte des Franz-Ludwig-Gymnasiums waren immer wieder verblüfft, mit welcher Leichtigkeit der blonde Knabe zu erlernenden Stoff nicht nur aufnahm, sondern auch umsetzte. Schon lange war ihnen klar, dass an ihrer Schule ein junges Genie heranwuchs. Das Kollegium hegte keinen Zweifel, dass der Knabe aus Bamberg das Zeug zum zweiten Albert Einstein hatte. Es gab nur einen Haken an der Sache. Clemens Martin wollte partout Priester werden.
Alle verzweifelten Versuche, ihn eines Besseren zu belehren, waren bisher fehlgeschlagen. Im Ottonianum und bei
Weitere Kostenlose Bücher