Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
katzengroßes Tier mit einem Satz aus dem Gemüsebeet auf die Gartenmauer sprang, ihn kurz musterte und dann behände auf der Mauer entlanglief, um anschließend im Wald zu verschwinden.
Ein Marder? Lagerfeld hasste die Tiere. Andauernd bissen sie Kabel an seinem Auto kaputt. Er hatte schon alle Hausmittel wie Hundehaare, Maschendraht oder Urin ausprobiert. Alles Blödsinn. Der gemeine Marder blieb unbeeindruckt, ganz im Gegensatz zum Kontostand des jungen Kommissars. Der schrumpfte nämlich nach jeder Werkstattrechnung beträchtlich.
Aber egal, der Marder war nicht sein Problem. Als Lagerfeld die Veranda betrat, bemerkte er auf dem kleinen Tisch neben dem Korbstuhl eine halb volle Tasse Tee. Sie war kalt. Seltsam. Er blickte durch das Fenster ins Hausinnere, konnte aber nichts erkennen, weil die Gardinen zugezogen waren. Versuchshalber drückte er gegen die Tür, ohne sich große Hoffnungen zu machen, doch sie öffnete sich mit einem leichten Quietschen. Lagerfeld war das nicht geheuer. Er zog seine Waffe, rief noch einmal ein fragendes und lautes »Hallo, ist jemand da?« durch den Spalt, dann öffnete er die Tür ganz und trat ein.
*
Die beiden Gruppenleiterinnen Sibylle und Christine waren inzwischen recht geübt im Paddeln. Als sie die Bescherung aus der Ferne sahen, hatten sie im Gleichklang »Versicherungsfall!« gerufen und hysterisch gekichert. Stefan Löblein fand den Vorfall weniger witzig. Schließlich musste er als Hauptverantwortlicher den ganzen Scheiß in Bayreuth abrechnen und sich dazu noch die dummen Kommentare vom Zentralverband anhören.
»Schaut zu, ob ihr irgendwie festmachen könnt und ob noch was im Boot ist, was wir verwenden können!«, rief er ihnen zu.
»Ja, Bwana«, antwortete Sibylle, und Christine konnte sich ein erneutes Kichern nicht verkneifen. Stefan Löblein beobachtete vom Ufer aus, wie sie das Boot gekonnt neben dem Brückenpfeiler wendeten, aber dann große Schwierigkeiten hatten, gegen die Strömung des Mains anzupaddeln.
»Ihr müsst euch an irgendetwas festhalten und dann ranziehen«, wies er sie an.
»Das sagt sich so leicht«, rief Sibylle mit zusammengebissenen Zähnen zurück, während sie verzweifelt vom Bug des Bootes aus gegen den Fluss ankämpfte. Schließlich bekam sie ein Stück Stoff, das sich unter dem Schwemmgut befand, zu fassen und zog sich und das Boot an den Pfeiler heran. Als sie aufstehen wollte, riss der aufgeweichte grobe Stoff unter der Spannung, und instinktiv hielt sie sich mit der anderen Hand an dem Inhalt des aufgerissenen Beutels fest, zu dem auch der Stoff gehört hatte.
Stefan Löblein sah noch, wie alles an ihr beim Anblick des Beutelinnenlebens erstarrte und die Hände panikartig an den Kopf flogen. Dann fing Sibylle an zu schreien, und das Boot trieb führerlos durch die Brücke hindurch und folgte dem Lauf des Mains. Die Begleiterin schrie immer noch, als sie fünfzehn Minuten später von einem Boot der Wasserwacht an Land geholt wurde.
Stefan Löblein konnte unterdessen nur entsetzt auf den Grund von Sibylles Reaktion starren. Aus dem aufgerissenen schwarzen Sack hing der leblose, bleiche Kopf eines toten Manns heraus.
*
Lagerfeld betrat den Wintergarten und sah sich vorsichtig um. In der Wohnung herrschte ein Chaos wie nach einem Minitornado. Die Möbel lagen kreuz und quer herum, ehemalige Inhalte waren wild in der ganzen Wohnung verstreut. Alles, was auch nur im Geringsten nach Polster aussah, war aufgeschnitten und durchlöchert. Es war völlig unmöglich, sich geräuschlos durch die verwüstete Wohnung zu bewegen.
Lagerfeld entsicherte seine Waffe. So etwas hatte er noch nie erlebt. »Hallo?«, rief er nochmals laut. Nichts rührte sich.
Er ging die Stufen zum Wohnzimmer hinauf und spähte vorsichtig um die Ecke. Was er sah, ließ ihn im ersten Moment zurückschrecken. Dann fasste er sich, steckte seine Waffe wieder ins Halfter und betrat den Wohnraum.
Eine dicke Frau hing an einem Seil am Deckenleuchter. Der Tisch unter ihr war umgestoßen worden, sodass sie nun in circa einem Meter Höhe sanft hin und her baumelte. Lagerfeld berührte ihre Hand. Sie war kalt, genauso wie der Tee.
Er ließ sich in den einzigen noch intakten Sessel plumpsen, betrachtete für ein paar Momente das grenzenlose Chaos um sich herum, dann holte er sein Handy heraus und rief Honeypenny an.
*
Kommissar Haderlein und Pater Anselm waren gerade dabei, sich nach ihrem gemeinsamen Bier in der Klosterstube zu verabschieden. Haderlein hatte nur kurz
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