Das Alabastergrab
sein Auftraggeber da gewählt hatte.
Aber ihm sollte es recht sein. Ungewöhnlich war meistens auch sicher.
Als er auf die Klingel drückte, bemerkte er rechts vom Eingang eine
grell gemusterte Hundeleine und wunderte sich. Wie auch immer, er würde jetzt
das Buch abgeben, sein Geld in Empfang nehmen und dann nach Wien abreisen. Die
Geschichte hatte nun wirklich lange genug gedauert. Endlich ertönte der dezente
Türsummer. Er war noch gar nicht eingetreten, da rief eine Stimme schon:
»Kommen Sie, Nikolai!«
Er durchquerte den kleinen Innenhof, auf dem gerade Pflasterarbeiten
durchgeführt wurden, und betrat durch eine offene Tür einen riesigen
beleuchteten Raum, der mit Versteinerungen aller Art und großen
Ausstellungsstücken vollgestopft war. An der Wand bemerkte er einen mindestens
zwei Meter großen Fischsaurierschädel, der über einem Glaskasten hing. Als er
genauer hinschaute, erkannte er in dem Kasten eine leibhaftige ägyptische
Mumie. Am Ende des Raums sah er eine Person hinter einem massiven Schreibtisch
stehen.
Eine alte Stehlampe erhellte den Arbeitsbereich, der mit
architektonischen Zeichnungen und Skizzen bedeckt war. Sein Auftraggeber war
gerade damit beschäftigt, Blätter auf die Seite zu räumen, sodass Nikolai
Gelegenheit hatte, ihn unauffällig zu betrachten.
Irgendwie hatte er sich sein Gegenüber anders vorgestellt. Nicht
immer lernte man sich ja in diesem Geschäft persönlich kennen. In der Regel
diente die Anonymität vor allem der Sicherheit beider Geschäftspartner. Mit dem
Auftrag wurde eine Anzahlung überwiesen, der Restbetrag folgte dann später auf
ein Konto nach seinen Angaben. Damit war für ihn normalerweise die Sache
beendet, doch diesmal war es für Nikolai eine Frage der Ehre, den Auftraggeber
persönlich aufzusuchen. Immerhin war ihm das Ding zwei Mal aus dem Ruder
gelaufen, und fast hätte ihn die deutsche Polizei in Nürnberg erwischt.
»Setzen Sie sich, Nikolai«, sagte sein Gegenüber und bot ihm einen
Stuhl an. Beide nahmen Platz.
»Nun, da Sie ohne weiteren Anruf gekommen sind, kann ich davon
ausgehen, dass Sie das Buch gefunden haben?«, fragte sein Auftraggeber und
machte eine erwartungsvolle Pause.
Wortlos griff Nikolai in die Innentasche seines Leinensakkos und
holte das immer noch zusammengeknotete Bündel heraus.
»Hier«, sagte er und legte es auf den Schreibtisch. Sein Gegenüber
nahm eine Schere aus der Utensilienablage des Architektentischs und schnitt die
Schnur des Einbands durch. Als er die Schutzhülle aus Butterbrotpapier
abgewickelt hatte, kam ein Tagebuch mit hellbraunem Einband zum Vorschein. Auf
der offenen Seite wurde es von einer kleinen Lasche mit Messingknopf
zusammengehalten.
Der Mann nickte und legte das Buch zurück auf den Tisch. Dann bückte
er sich und holte einen Aktenkoffer aus Aluminium aus einem Schreibtischfach
hervor. Wortlos stellte er ihn auf die Tischplatte, und Nikolai nahm ihn an
sich.
»Wollen Sie das Buch nicht öffnen?«, fragte er verwundert.
»Nein, wozu denn? Ich weiß ja, was drinsteht. Wollen Sie nicht Ihren
Koffer öffnen?«, fragte er im Gegenzug.
Nikolai lächelte mit schmalen Lippen. »Nein, wozu? Ich weiß ja, was
drin ist«, antwortete er mit einem Anflug von Humor.
Der Mann lächelte breit. »Touché«, zollte er dem Profi Respekt für
dessen Schlagfertigkeit. »Gut, dann wäre unser Geschäft beendet. Ich habe zwar
keinen Wodka, um den Erfolg zu besiegeln, aber ein gutes fränkisches Bier
dürfte ja wohl auch genügen.«
Nikolai war keineswegs überrascht über das Angebot. In Russland
wurden Geschäfte immer mit einem guten Wodka abgeschlossen. Nicht selten wurden
auch sehr offenherzige Damen angemietet, um den Deal sozusagen abzurunden. Auch
in Deutschlands großen Firmen wie VW oder Siemens waren solche Geschäftspraktiken ja inzwischen nicht mehr unüblich,
wie er im Fernsehen gesehen hatte, deshalb griff Nikolai gerne nach dem bereits
gefüllten Krug, den ihm der Mann hingestellt hatte. Sich selbst schenkte dieser
gerade ein.
»Na zdrowje« , sagte Nikolai, als er das Bier zum Gruß hob,
und nahm dann einen tiefen Schluck. Es schmeckte wirklich hervorragend.
»Was ist das für ein Stein?«, fragte er den Mann, der seinen Krug
neben einem Sandsteinquader von circa vierzig Zentimeter Kantenlänge abstellte.
Die Augen des Mannes begannen zu leuchten. In schwärmerischem Ton
sagte er: »Das ist der Stein von Dendur. Der Schlussstein aus der Vorderfront
eines ägyptischen Tempels, der inzwischen
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