Das Alabastergrab
glaub ich, oder zumindest
schon lange dabei. Hubertus Graetzke kennt dort jeder.« Sie stellte ihr
Sektglas auf den Couchtisch. Ihre ausgelassene Stimmung war so schnell
verflogen, wie sie gekommen war. »Und wenn Sie mich schon so direkt nach
Feinden fragen«, fügte sie wieder ganz nüchtern hinzu, »letzte Woche ist Edwin
beim Bamberger Landrat aus der Sprechstunde geflogen. Einen hat er übrigens
ganz besonders gehasst. Diesen Bootsverleiher aus Lichtenfels, diesen
Scheidmantel. Die beiden sind schon ein paar Mal aneinandergeraten, und der war
es auch, der Graetzke wie gesagt eine saubere Abreibung verpasst hat. Wenn es
nach mir gegangen wäre, hätte man ihm einen Orden verleihen müssen. Mehr fällt
mir jetzt wirklich nicht ein.« Sie seufzte erschöpft. Das Kramen in ihrer
Vergangenheit schien sie sichtlich mitzunehmen. Haderlein betrachtete sie genauer.
Oder war sie einfach nur eine gute Schauspielerin?
»Wo waren Sie gestern und heute Nacht, Frau Rast?«, fragte er sie
unvermittelt.
Sie schaute ihm fest in die Augen und lächelte wieder. »Gestern
Abend habe ich hier mit meiner Freundin Gabi und meinem Sohn Sven gefeiert. Bis
heute früh um zwei Uhr, glaub ich.«
»Und kann man auch den Grund der Feierlichkeiten erfahren?«, machte
sich Lagerfeld von seinem Sofa aus bemerkbar.
»Ja, natürlich«, grinste sie ihn an. »Das können Sie, ich habe
Geburtstag gefeiert. Ich bin gestern vierzig geworden, Herr Schmitt.«
Die Kommissare Haderlein und Schmitt standen in der Concordiastraße
in Bamberg und atmeten erst einmal tief durch.
»Nehmen Sie ihr das alles ab, Chef?«, fragte Lagerfeld ratlos.
»Hier geht es erst einmal darum, Fakten und Aussagen zu sammeln,
mein lieber Kollege. Was wir glauben oder nicht, lassen wir mal dahingestellt
sein. Und ganz unter uns: Ich weiß nicht, was ich ihr glauben soll. Aber ihre
Angaben scheinen ja zu stimmen …«
Plötzlich unterbrach Beethovens Neunte die sommerliche Ruhe der
Concordiastraße. Haderlein holte sein Handy aus der Hosentasche und scannte
kurz das Display, um sofort darauf abzunehmen. »Ja, Honeypenny, was gibt’s? …
Lagerfeld, schreiben Sie mal mit. Das Wehr in Hausen bei Kloster Banz? … Ja,
ich weiß, wo das ist. … Wie? … Nedensdorf? … Also ein Stück unterhalb, okay.
Ja, das werden wir schon finden. … Wie geht’s der Riemenschneiderin? … Wie? Was
Fidibus möchte, geht mir am Allerwertesten vorbei. Sagen Sie ihm, wir kommen
morgen wieder, und geben Sie Riemenschneider noch einen Apfel von mir. … Ja,
danke, Honeypenny, ich melde mich dann später.«
»Was wollte sie denn?«, erkundigte sich Lagerfeld.
»Na, raten Sie mal. Fidibus möchte von uns einen Bericht zur Lage
der Nation. Und zwar am besten vorgestern«, stöhnte Haderlein.
»Und was is mit dera Riemenschneiderin?«
»Ihr geht es gut. Aber Fidibus hat Angst, dass sie ihm die Bude
vollscheißt. Meinen Segen dazu hat sie jedenfalls.« Haderlein musste bei der
Vorstellung grinsen. Dann blickte er auf den Notizblock seines Kollegen.
»Na, da hammer ja noch etliches vor uns, was, Chef? Jetzt wird’s eng
für heut.«
Haderlein schaute ihn durchdringend an. »Wissen Sie was, Lagerfeld?
Wenn man’s eilig hat, soll man langsam gehen. Das ist doch so ein asiatisches
Sprichwort. Deshalb schlage ich vor, wir gehen jetzt erst mal da vorn in den
Polarbär und bereden die weitere Vorgehensweise. In Ordnung?«
Dagegen hatte Lagerfeld nun wirklich nichts einzuwenden.
Der Polarbär lag nur einhundert Meter weiter auf der rechten
Straßenseite der Judenstraße, gleich neben dem Böttingerhaus, einem der
bekanntesten Bürgerhäuser Deutschlands. Allerdings hieß der Polarbär schon
lange nicht mehr Polarbär. Vor vielen Jahren war er in eine Art spanische
Tapasbar mit Biergarten umgemodelt worden und zog jetzt jüngere Kundschaft an,
was den Hauptkommissar aber in keinster Weise störte. In seinem Polarbär, auf
Bambergerisch: Bollarbär, war er seinerzeit zum ersten Mal mit seiner
zukünftigen Frau essen gegangen. Im tiefsten Winter bei unter zehn Grad minus –
so, wie es sich für einen echten Polarbären gehörte. Es war ein wunderschöner
Abend im romantisch verschneiten Bamberg gewesen. Für Haderlein würde diese
Lokalität für immer Bollarbär heißen, auch wenn jemand irgendwann daraus einen
chinesisches Puff namens »Weng Eng« basteln würde. Das hatte er jedenfalls mal
im Kollegenkreis gesagt.
Heute waren es nicht minus zehn, sondern knapp siebenundzwanzig Grad
plus, und
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