Das Alabastergrab
damit automatisch ein paar Feinde mehr gemacht.
*
Suckfüll hatte Lagerfeld und seine Kollegen letztendlich doch gegen
dreiundzwanzig Uhr nach Hause geschickt, damit sie für den nächsten Tag noch
etwas Schlaf bekämen. Für alle Fälle hütete eine Notbesetzung die Dienststelle.
Konnte ja durchaus sein, dass um Mitternacht noch eine Leiche vom Himmel fiel.
Morgen früh um sieben Uhr hatten alle wieder frisch und munter anzutreten.
Jetzt blieb nur noch eins zu tun, Fidibus musste die Presse ruhigstellen, sonst
würden sie hier alle in den nächsten vierundzwanzig Stunden von der Journaille
gefressen. Mit Haut und Haaren.
»Haderlein, wo bleiben Sie denn?«, herrschte er seinen Kriminalhauptkommissar
an. »Kommen Sie endlich, wir müssen immerhin die wenigen Fakten, die wir haben,
gut verkaufen. Haderlein, was soll das denn jetzt? Also wirklich.«
Der Ermittler war gerade mit seiner Tasche um die Ecke gebogen. Auf
dem Arm trug er Riemenschneider, die ihn glückselig anlächelte. Endlich war ihr
Herr und Meister wieder für sie da. Wurde aber auch Zeit, schließlich hatte sie
schon lange kein Bier mehr bekommen.
»Haderlein, Sie wollen doch wohl nicht mit Ihrem Ferkel auf dem Arm
vor die versammelten bundesdeutschen Medien treten?«, fragte Fidibus ungläubig.
»Na ja, die Alternativen sind relativ beschränkt, Chef«, verteidigte
sich der Hauptkommissar. »Alleine zurücklassen kann ich Riemenschneider hier
jedenfalls nicht, da hätte sie zu viel Angst und ich ein schlechtes Gewissen.
Honeypenny hat schon Feierabend und konnte Riemenschneider leider nicht
mitnehmen, weil sie ihrem Mann beim Honigschleudern helfen musste. Der will
nicht, dass das Ferkel dabei ist, weil er Angst hat, dass sie sich nicht
beherrschen kann und den ganzen frischen Honig wegfrisst. Ganz unrecht hat der
Mann da nicht, Sie wissen ja, was Riemenschneider für eine Süßmäulin ist …« Er
hatte den Gesichtsausdruck eines Mannes ohne Wahlmöglichkeit aufgesetzt, den er
sich einmal von Franco Nero in einem Western abgeschaut hatte. Wie er so
dastand und seinen fassungslosen Chef fixierte, hätte er ihm auch genauso gut
»Dieses Büro ist zu klein für uns beide!« vor die Füße geworfen haben können.
»Haderlein, bitte«, flehte ihn Fidibus an. »Da draußen schaut uns
die ganze Bundesrepublik direkt ins Gesicht. Und Sie wollen mit einem Ferkel
auf dem Arm die Pressekonferenz zu einem Mordfall abhalten? Ganz Deutschland
wird über die Bamberger Kriminalpolizei herfallen, sie lächerlich machen.«
»Chef, jetzt mal ganz im Ernst«, widersprach Haderlein, »Sie haben
doch selbst erlebt, wie die Meute da draußen drauf ist. Die sind doch genauso
am Ende wie wir, die stehen sich doch schon seit heute früh die Beine in den
Bauch. Vielleicht ist Riemenschneider genau das Überraschungsmoment, das die
heute noch brauchen. Die werden nicht viel an Informationen von uns kriegen,
weil wir keine haben, die wir ihnen geben können oder dürfen. Dafür bekommen
sie Riemenschneider.«
Fidibus schaute zweifelnd zwischen Haderlein und dem kleinen Ferkel
hin und her. »Sie meinen, sie könnte ein Ablenkungsmanöver sein, ein
Doppeltrick?«
»Ganz genau, Chef. Das wird schon funktionieren. Und wenn nicht,
mein Gott, Riemenschneider ist doch ein Überbleibsel aus einem Einsatz der
Bamberger Polizei.« Haderlein grinste selbstzufrieden.
Schlagartig kehrte ein optimistischer Ausdruck auf das Gesicht von
Fidibus zurück. »Ja, natürlich, Haderlein. Eine hervorragende Idee, so könnte
das funktionieren. Wir werden einfach sagen, Riemenschneider sei die
Hauptperson in einem Kronschutzzeugenprozess!« So schnell, wie sich der
Dienststellenleiter jetzt auf den Weg zu den Journalisten machte, konnte
Haderlein ihm kaum folgen.
*
Keuchend richtete Nikolai sich auf und schaute sich in Rasts
Arbeitszimmer um. Überall herrschte jetzt Unordnung und Chaos. Die Bretter des
Bücherregals, das einstmals wie mit der Wasserwaage eingeräumt gewesen war, lag
zerbrochen kreuz und quer auf den zerfledderten Büchern, die Nikolai eins nach
dem anderen ausgeräumt und auf den Boden geworfen hatte. Alle Schubladen waren
herausgezogen worden und ebenfalls auf dem Teppich gelandet. Den Schreibtisch
und die Wände hatte er bereits nach Hohlräumen abgeklopft, aber nichts
gefunden, was als Versteck hätte dienen können. Igor trat ins Zimmer. Er musste
seine kurzen Beine ziemlich anheben, um über die Bücher zu steigen. In der
rechten Hand hielt er ein Messer, in der
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