Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
loszulassen. Nur der weiche Waldboden bewahrte Bryan davor, das Bewusstsein zu verlieren. Nachdem Lankaus massiger Körper unzählige Male über seinen gerollt war, hatte die Talfahrt ein Ende, wo der Pfad in den Säulengang mündete. Reglos lagen sie nebeneinander im Gestrüpp und sahen sich stöhnend an. Lankau hatte einige Kratzer am Kopf, aus denen ihm Blut über das Gesicht und bis in die Augen rann: Im Fallen hatte Lankau die Pistole so fieberhaft an sein Gesicht gerissen,dass das Korn ihm die Haut aufgeschlitzt hatte. Er blinzelte unablässig und versuchte, das Blut abzuschütteln, das ihm die Sicht verschleierte. Keine zwanzig Zentimeter über ihm lag die Waffe auf dem aufgewühlten Erdboden.
Bryan legte den Kopf in den Nacken und ohne nachzudenken holte er zu einer ganzen Serie von Kopfstößen aus, bis er selbst Sterne sah.
Jetzt gab Lankau zum ersten Mal ein Geräusch von sich. Bryan robbte über ihn hinweg und schnappte sich die Pistole, als ihn jemand an den Haaren packte und seinen Kopf in den Nacken riss.
Lankaus Rettung war von hinten gekommen. Wild durcheinander rufend umringten die Jugendlichen die beiden Männer.
Zwei der Jugendlichen packten Lankau, halfen ihm auf die Beine und klopften ihm den Rücken ab. Er fasste sich ans ramponierte, immer noch blutende Gesicht und sah sich hektisch nach seiner Waffe um. Dabei redete er unablässig auf die Jugendlichen ein. Der Griff an Bryans Hinterkopf wurde gelöst, seine Nackenmuskeln entspannten sich. Bryan schwieg, als er sich langsam rückwärts den Hang hinaufarbeitete. Keiner bemerkte, dass dabei die Waffe unter seinen Körper glitt.
Bryan verstand kein Wort von dem, was Lankau zu den jungen Leuten sagte. Aber von einem Moment zum anderen war der Hüne verschwunden.
Die Jugendlichen sahen nicht so aus, als wollten sie den Halbkreis um Bryan so schnell auflösen.
Vorsichtig tastete er unter sich und fand die Pistole. Sie war schwerer als erwartet. Direkt über dem Schaft befand sich der Abzugsstollen. Niemand hörte, wie er ihn blockierte. Unauffällig schob er den Pistolenlauf in den Hosenbund. Erst als er die Hand aus der Hose zog, kam der Schmerz und Bryan schrie auf. Alle starrten ihn an. Eines der Mädchen schlug dieHand vor den Mund und kreischte, als Bryans blutige Hand zum Vorschein kam.
»Er hat mich angeschossen«, sagte er nur, ohne zu erwarten, dass einer der Jugendlichen ihn verstand.
Ein anderes Mädchen begann zu schreien. Hinter der Gruppe tauchte ein weißblonder junger Mann auf und half Bryan vorsichtig auf die Füße. Der rote Fleck an Bryans Gesäßtasche vergrößerte sich zwar, aber nicht so schnell, wie er befürchtet hatte. Es war offenbar ein glatter Durchschuss durch den Hintern gewesen. Sowohl die Ein- als auch die Austrittswunde hatten sich fast schon wieder geschlossen. Der Blutverlust war unbedeutend. Nur Bryans linkes Bein zitterte.
Die Jugendlichen traten etwas zurück.
Der Blonde rief ihnen etwas zu, worauf sich die Gruppe im Handumdrehen auflöste. Alle liefen los in die Richtung, in die Lankau verschwunden war. Der Blonde blieb bei Bryan und fragte: »Können Sie laufen?« Bryan war erleichtert, ihn Englisch sprechen zu hören.
»Ja, kann ich, danke.«
»Die anderen versuchen, ihn zu kriegen.« Der junge Mann sah den Hang hinunter, von wo die Rufe der Suchenden zu hören waren. Bryan bezweifelte, dass sie den Hünen finden würden. »Entschuldigen Sie. Da haben wir uns wohl vertan. Wir dachten, Sie seien der Schurke, aber dabei hatte er wohl Sie angegriffen?«
»Ja.«
»Und wissen Sie, warum?«
»Ja.«
»Warum?«
»Er wollte mein Geld.«
»Wir rufen die Polizei.«
»Nein! Das ist nicht nötig! Ich glaube nicht, dass er es noch einmal versuchen wird.«
»Und warum nicht? Kennen Sie ihn?«
»Gewissermaßen, ja.«
Zwar besteht das Gesäß in erster Linie aus Muskeln, die aufgrund ihrer Größe auch im verletzten Zustand noch gut funktionieren können, aber Bryan musste sich bei den ersten Schritten trotzdem abstützen, wo er konnte.
Der Weißblonde ließ ihn ohne ein weiteres Wort stehen und rannte seinen Kameraden hinterher.
Fünf Minuten später war von ihrem Gejohle nichts mehr zu hören.
Obwohl es jetzt bergab ging, kam Bryan der Weg zurück zur Bergstation weiter vor als der Hinweg. Alle zehn Schritte blieb er stehen und betrachtete seinen Hintern. Die dunklen Flecken auf seiner Hose wurden aber nicht größer.
Als er das Dickicht zwar noch nicht verlassen hatte, jedoch bereits von weitem
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