Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
Lankau – und sicher noch vieles mehr. Er war genauso vielschichtig, unehrlich und bitter, wie viele Menschen es unter der Oberfläche waren. Wer konnte schon von sich behaupten, nicht auch etwas von einem Lankau in sich zu haben?
Bryan drehte den letzten Satz der Ouvertüre leiser. »Wir müssen irgendwohin, wo wir ungestört sind.«
»Damit du mich ungestört töten kannst, vermute ich«, erwiderte der Hüne ungerührt.
»Damit ich dich ungestört töten kann, falls ich das für richtig halte, ja.« Bryan prägte sich den Weg ein.
Lankau lenkte den Wagen zur Stadt hinaus. Ein kleines Kind fuhr mit seinem Roller unbekümmert und triefend nass durch die breiten Rinnsteine, in denen anscheinend selbst im Hochsommer beständig Wasser an den Bürgersteigen entlangfloss. Eine junge Frau versuchte, es einzuholen und rannte dabei fast eine Nonne über den Haufen.
»Wieso bist du zurückgekommen? Wieso bist du hinter uns her? Willst du Geld?« Die Mundwinkel in dem breiten Gesicht rutschten nach unten, während die kalten Augen auf den Verkehr gerichtet waren.
»Welches Geld?«
»Petra Wagner sagt, du hast nach Gerhart Peuckert gefragt. Wolltest du, dass er dir den Weg zu uns zeigt?«
Bryan stockte der Atem. »Soll das heißen, Gerhart Peuckert lebt?« Aufmerksam beobachtete Bryan Lankaus Gesicht. Doch der verzog keine Miene. Langsam wandte er Bryan den Kopf zu.
»Nein, von der Leyen«, sagte er. Er richtete den Blick wieder nach vorne auf die Landschaft und lächelte. »Tut er nicht.«
Die Bebauung wurde immer spärlicher, stattdessen zogen sich die schnurgeraden Reihen der Weingärten durch die Landschaft. Bryan war sich darüber im Klaren, dass er zu einer Entscheidung kommen musste. Lankau hatte gesagt, er hätte weitere Informationen für ihn. Und er kenne einen Ort, an dem sie ganz sicher ungestört sein würden. Alles deutete darauf hin, dass Lankau Bryan in eine weitere Falle locken wollte. Hier, nur wenige Kilometer von Freiburgs Zentrum entfernt, wurde es schon ziemlich einsam.
Jedes Mal, wenn er Lankaus ungerührte, leblose Miene sah,kam ihm der Gedanke, dass es womöglich einen Notfallplan gab, bei dem Kröner oder Petra ihm zur Hand gehen würden. Dass Lankau ihn jetzt vermutlich direkt den Löwen zum Fraß vorwerfen würde.
Als Bryan mehr über jenen ungestörten Ort wissen wollte, amüsierte Lankau sich.
»Ein netter kleiner Hof, mein Refugium.« Er sah Bryan kurz an. »Nicht mein eigentliches Wohnhaus. Ich wohne mit meiner Familie in der Stadt. Aber da sind meine Frau und meine Kinder zurzeit nicht, falls du auch hinter denen her sein solltest. Sie sind vorsichtshalber verreist.« Er lachte.
Lankau verlangsamte die Fahrt und bog in einen Schotterweg ab. Ein Schild untersagte Unbefugten die Zufahrt.
Im Gegensatz zu den Nachbarhöfen hatte dieses Gebäude nur eine Etage, dafür aber mehrere Flügel.
Wenn dieser nette kleine Hof Lankaus Refugium war, musste er ein wohlhabender Mann sein. Einige kleinere Hügel mit Weinstöcken ließen auf Hobbywinzerei schließen.
Als sie den Hofplatz erreichten, duckte sich Bryan und bohrte dem Breitgesichtigen die Pistole hart in die Seite. In dem Augenblick, in dem Lankau den Motor ausschaltete, würde nur Wachsamkeit Bryans Leben retten können. Wenn dies eine Falle war, konnte der Angriff von überallher erfolgen.
»Reg dich ab, du feiger Hund!«, brummte Lankau und stieß die Tür auf. »Hier ist nur jemand, wenn geerntet oder gejagt wird.«
Kaum im Hausflur, schlug Bryan seiner Geisel so hart mit dem Pistolenschaft in den Nacken, dass sie zu Boden ging. Er warf einen Blick ins Wohnzimmer, das außergewöhnlich hässlich eingerichtet war. Mindestens hundert Bockgeweihe hingen an den Wänden und zeugten von Lankaus Jagdtrieb. Seinen morbiden Geschmack belegten geschnitzte Tellerborde, dicke Bücher mit breitem Rücken, Jagdmesser und alte Gewehre, schwere Eichenholzmöbel mit gestreiften Bezügenund düstere Gemälde mit den immer gleichen Motiven: Natur und tote Tiere.
Der muffige Geruch verriet Bryan, dass diese Räume nur selten genutzt wurden.
Die schlaffe Gestalt am Boden lag nur kurz still. Bryan versetzte ihr noch einen Schlag. Lankau durfte vorläufig nicht zu sich kommen.
Dann stand Bryan eine ganze Weile nur da und lauschte. Das Einzige, was er hörte, war fernes Hundegebell und ab und zu ein Auto auf der Landstraße. Rund um das Haus war es still.
Sie waren allein.
Auf der anderen Seite des Hofplatzes erstreckte sich ein
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