Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
Wilfried? Warum schreckt dieser Satan vor nichts zurück, um an unseren stummen Freund heranzukommen?«
»Ich glaube, der will gar nicht an Gerhart herankommen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er in Wirklichkeit hinter uns her ist. Peuckert war nur ein Vorwand, um uns zu finden.«
»Aber das ergibt doch keinen Sinn, Wilfried! Wieso sollte er denn glauben, dass Peuckert ihn zu uns führen würde? Das Einzige, was uns – soweit von der Leyen das wissen kann – mit Peuckert verbindet, sind einige Monate in einer Irrenanstalt. Und das ist bald hundert Jahre her, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Ich weiß es nicht. Aber ich bin überzeugt, dass von der Leyen uns erpressen will.«
»Darin stimme ich mit dir überein. Ich glaube auch, dass es ihm um nichts als den Gewinn geht. Gut, wir haben ihn damals vielleicht ein bisschen hart angepackt, aber ich glaube nicht, dass ihn die Rachsucht treibt.« Stich drehte sich um. »Der macht sich nichts aus Rache. Rache ist etwas Irrationales, und von der Leyen ist nicht irrational, wenn du mich fragst. Wer oder was zum Teufel er auch immer sein mag!« Es wurmteStich, dass so viele Fragen unbeantwortet blieben. Die Verärgerung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Kröner wurde unruhig. »Hast du eine Ahnung, ob Peuckert uns irgendwie weiterhelfen kann, Peter?«
Stich wandte sich seiner Frau zu, die ihn fragend ansah. Kröner wusste genau, warum sie sich am anderen Ende des Raumes aufhielt. Denn wenn ihr Mann sich ärgerte, rutschte ihm schon mal die Hand aus, sobald sie alleine waren. In der Regel tat es ihm hinterher leid, und seine Schläge fielen auch nicht mehr so hart aus wie früher. Dennoch vermutete Kröner, dass Andrea es nach all den Jahren vorzog, wenn nicht sie, sondern andere die Schläge abbekamen. Zum Beispiel der Idiot, der nebenan im schwachen Schein der Wandlampe saß. Schließlich war auch sie nicht mehr die Jüngste.
Stich versuchte noch ein paarmal vergeblich, Lankau telefonisch zu erreichen. Er kniff die Augen zusammen, drehte sich zu Kröner um und schüttelte den Kopf. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als die prekäre Sachlage zu akzeptieren.
Der Mann mit den Pockennarben starrte lange das Telefon an. Seine Frau und sein Kind mussten inzwischen an ihrem Bestimmungsort angekommen sein. Gerade, als er den Hörer abnehmen wollte, zog Andrea eine roboterartige Gestalt mit sich ins Wohnzimmer. Peuckert kaute noch. Stich fasste ihn am Unterarm und zog ihn zu sich aufs Sofa. Dann strich er ihm übers Haar, wie er es sich im Laufe der Zeit angewöhnt hatte. Der Depp war fast so was wie ein Haustier für ihn. Ein Maskottchen im Käfig. Ihr Kätzchen, ihr Äffchen. Einzig Lankau hatte das in all den Jahren nicht so gesehen.
»Na, Gerhart, hast du etwas gegessen? Hat Andrea sich um dich gekümmert?«
Immer wenn Peuckert Andreas Namen hörte, leuchteten seine Augen auf. Genau wie jetzt. Er lächelte und sah zu Andrea hinüber, die gerade den Kronleuchter eingeschaltet hatte.
»Ist es nicht schön, ein bisschen mit uns hier im Wohnzimmer zu sitzen, Gerhart? Soll sich Kröner auch ein wenig zu uns setzen?«
Dann nahm Stich Peuckerts Hände und rubbelte sie, als wären sie ganz kalt.
»So, Gerhart, das magst du doch gerne, stimmt’s?« Der alte Mann tätschelte Gerharts sehnigen Handrücken und lächelte ihn an. »Andrea und ich wüssten gerne, ob du immer noch Besuch von Petra bekommst.«
Kröner sah, wie sich auf Peuckerts Lippen ein winziges Lächeln abzeichnete. Das war Antwort genug.
Stich tätschelte ihm wieder die Hand. »Und wir wüssten gerne, ob sie dir Fragen stellt, Gerhart. Stellt sie dir manchmal seltsame Fragen? Über die alten Zeiten? Fragt sie, was wir machen, wenn wir Ausflüge unternehmen? Nun sag schon, Gerhart.«
Gerhart Peuckert presste die Lippen zusammen und wandte den Blick nach oben, als wenn er überlegte.
»Es fällt dir schwer, dich daran zu erinnern, nicht? Aber vielleicht weißt du noch, ob sie jemals mit dir über Arno von der Leyen gesprochen hat, mein Freund?« Gerhart sah ihn an und presste wieder die Lippen aufeinander.
Stich erhob sich und ließ Gerharts Hände genauso plötzlich los, wie er sie zuvor ergriffen hatte.
»Dieser Arno von der Leyen sucht nämlich nach dir, mein Freund. Und wir wissen nicht, warum. Er hat auch einen anderen Namen angenommen. Kröner kann dir sagen, wie er sich nennt.«
Wie in Zeitlupe wandte Gerhart Peuckert den Blick zu Kröner. Der wusste nicht recht, ob das ein
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