Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
meinem Leben gesehen. Wo ist sie?«
»Weißt du was? Ich glaube wirklich, dass all die rührende Fürsorge euch eines Tages vergolten wird. Ihr werdet sozusagen wiedervereinigt werden. Gut, natürlich im übertragenen Sinne, aber das ist doch besser als nichts!«
»Wovon zum Teufel redest du eigentlich?« Bryan husteteso heftig, dass sein ganzer Körper bebte. Er fummelte mit den Fingern, so gut er konnte.
»Da draußen im Hauswirtschaftsraum ist ein Schalter. Ich habe ihn ausgestellt. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, hat das Licht im Hof nicht so gut funktioniert wie vorhin, als du mich hier zurückgelassen hast.«
Bryan sah ihm direkt in die Augen. »Und?«
»Und der Schalter ist der Hauptschalter für den Schuppen, die Garage und die Weinpresse, die im Schuppen steht.«
»Weinpresse? Was soll das denn sein?«
»Ach, ihr kennt so was bestimmt auch, wenn ihr sie erst mal seht. Das ist so eine Maschine, in die man die Trauben hineinwirft. Darin werden die Früchte hübsch herumgerührt und ausgepresst. Wirklich praktische Erfindung, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Du Schwein!«, zischte Laureen eisig. Ihre Augen funkelten vor Zorn. »Du willst damit doch wohl nicht sagen …!«
Dann sank sie in sich zusammen und schluchzte.
»Aber nein, das muss warten. Ich bin doch noch gar nicht fertig mit ihr.«
»Ganz ruhig, Laureen!« Bryan lehnte den Hinterkopf gegen ihre Knie und streichelte sie, indem er den Kopf hin- und herdrehte. »Soweit wird es nicht kommen, Laureen. Bist du zusammen mit Petra hierher gekommen?«
»Ja.«
»Und sie war ansonsten ohne Begleitung?«
»Ja!«
Bryan sah zu Lankau auf. Ganz langsam kehrte das Gefühl auch in den Ringfinger seiner linken Hand zurück. Schon ganz bald würde er einen Versuch wagen.
Die Sekunden bis dahin musste er herausschinden.
»Was hat Schwester Petra euch eigentlich getan?«, fragte er.
»Das ist genau das, was ich erst beantworten kann, wenn du nicht mehr bist, Herr von der Leyen. Du wirst es leider nieerfahren! Wirklich schlechtes Timing, sorry!« Lankau lachte. »Aber ganz gleich, was sie uns getan hat, das Ergebnis wird das gleiche sein. Hatte ich ja bereits gesagt.« Er drehte sich um. »Weißt du, ein Freund von mir hat drüben in Schwarzach einen wunderschönen Hundezwinger. Und drei herrliche Dobermänner. Ganz schlechte Jagdhunde, keine Frage, aber ausgezeichnete Wachhunde, wenn es drauf ankommt. Eigentlich schade, dass ich sie dieses Wochenende nicht hier habe. Dann könnten wir die Sache wunderbar hinter uns bringen.«
Laureen senkte den Blick. Bryan lag regungslos vor ihr. Sie zwang sich wieder, ganz ruhig zu atmen. Sie durfte jetzt nicht die Fassung verlieren.
»Die haben einen gesegneten Appetit, die drei Köter!«, fuhr Lankau fort und grinste. »So eine wie Petra Wagner haben die in zwei Tagen restlos verspeist. Ganz zu schweigen von so einem Klappergerüst wie dir. Und wenn sie beim ersten Mal nicht alles auffressen, macht es auch nichts. Ich habe noch reichlich Platz in der Tiefkühltruhe.«
60
GERHART WOLLTE Kröners Haus gerade verlassen, als es an der Tür klingelte. Das Geräusch dröhnte in seinen Ohren. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Wimmern. Draußen war es ganz still. Jemand wartete darauf, dass die Tür geöffnet würde.
Stattdessen öffnete sich für James der Himmel.
Der vertraute Klang von Petras Stimme jenseits der Tür richtete ihn auf und ließ ihn spüren, dass er lebte. Der Albtraum war vorbei. Die grausamen Rachephantasien, geboren aus dem jahrelangen Kampf gegen seine Peiniger und ihre Übergriffe, lösten sich in Luft auf, als er Petras Stimme hörte.
Der selige Zustand hielt jedoch nicht lange an. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass die Gefahr keinesfalls gebannt war. Der nächste Satz schmerzte ihn wie Nadelstiche. Petra sprach in der Sprache, die Angst und Schmerzen in ihm auslöste. Mit jedem Wort, mit jeder Lautfolge wurde er verletzlicher und wehrloser. Das Böse in ihm regte sich wieder. Dann erklang noch eine Frauenstimme, strenger als Petras und noch beunruhigender. Gerhart senkte den Kopf und hielt sich die Ohren zu. Regungslos stand er da und zählte die Sekunden, bis ihre Stimmen erstarben.
Das Bild jener kleinen, blonden Frau, die einen so großen Platz in seinem Herzen einnahm, begann zu flimmern und sich zu verzerren. Mit einem Mal fiel es ihm schwer, sich an ihr Lächeln zu erinnern.
Ihm wurde schwindelig. Er glitt an der Wand herunter, bis er in der Ecke des Flurs hockte, den Kopf
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