Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
heftig gestoßen, dass er strauchelte und über den Beckenrand ins Wasser stürzte.
»Verdammt noch mal, Gerhart! Das wirst du mir büßen!«, stöhnte er, als er sich an der Leiter hochzog. Das Wasser rann in Strömen aus seiner Kleidung.
Erst als er sich mit unverhohlenem Ärger die Nässe aus dem Gesicht wischte, begriff er, was passiert war. Er hatte einen Fehler gemacht. Einen winzigen, lächerlichen Fehler. Er hatte in Gerharts Gegenwart laut ausgesprochen, was er mit Petra vorhatte. Im selben Augenblick erinnerte er sich an die Pistole auf dem Tisch, aber es war zu spät. Hinter Bryan stand Gerhart Peuckert wie eine Salzsäule und richtete die Waffe auf ihn.
»Was ist denn los, Gerhart?« Versöhnlich breitete er die Arme aus. »Sind wir denn keine Freunde mehr?« Er ging langsam auf ihn zu. »Geht es um das, was ich gerade über Petra gesagt habe, Gerhart? Dann möchte ich mich bei dir entschuldigen.« Lankau sah in Gerharts hasserfüllte Augen. Er überlegte blitzschnell, welche Strategie er verfolgen sollte. »Das war doch bloß ein Witz, Gerhart! Oder was glaubst du? Mir geht es ja nur darum, dieses Schwein namens von der Leyen winseln zu hören. Das weißt du doch!« Noch einen Schritt, dann wollte er zuschlagen. »Petra ist völlig in Ordnung.«
Mehr konnte er nicht sagen, weil Gerhart in dem Moment anfing zu schreien. Er schrie so markerschütternd, dass mehrere Vogelschwärme aufstoben. Lankau erstarrte. Während das Echo des Schreis noch über die Landschaft hallte, warendie Fronten bereits geklärt. Gerhart Peuckert würde Lankau keinen Zentimeter näher an sich herankommen lassen. Sein Gesicht war blaurot angelaufen, seine Lippen so verzerrt, dass beide Zahnreihen sichtbar waren. Lankau wich zwei Schritte zurück und rutschte aus. Er nahm die Hände hoch und bewegte sich in einem großen Bogen rückwärts zur Terrassentür. Der Mann mit der Pistole unternahm nichts. Schwer atmend beobachtete er Lankaus ungeschicktes Rückzugsmanöver. Als der das Wohnzimmer erreicht hatte, drehte er sich sofort um und rannte zum Hauswirtschaftsraum.
Gerhart folgte ihm. Lankaus Hand lag auf dem Hauptschalter, als Gerhart ihn erreichte. Genau so hatte sich Lankau das vorgestellt.
»Gib mir die Pistole, Gerhart! Oder ich lege den Schalter um!« Er spielte mit den Fingern am Schalter. »Dann siehst du Petra nie wieder. Ist es dir das wert?«
»Ich habe gehört, was du gesagt hast!« Manche Muskeln in Gerharts Gesicht zitterten noch immer. »Du machst es ja sowieso!« Und damit presste er die Pistolenmündung fest an Lankaus Schläfe.
»So ein Quatsch, Gerhart! Du bist zu krank, um zwischen Wirklichkeit und Einbildung unterscheiden zu können.« Die Schweißperlen auf Lankaus Stirn standen in scharfem Kontrast zu der Ruhe, mit der er sprach.
Im Zeitlupentempo hob Gerhart die Hand und näherte sie Lankaus Hand auf dem Schalter. »Wenn du mich anrührst, schalte ich den Strom ein!«, warnte Lankau ihn. Doch die sehnige, magere Hand bewegte sich weiter auf seine zu, und als sie schließlich auf Lankaus lag, gab der Breitgesichtige jeden Widerstand auf. Gerharts Blick war ruhig, hellwach und eiskalt.
Lankau fuhr zusammen, als Gerhart den Schalter betätigte. Das Licht im Hof ging an, und vom Schuppen ertönte ein Knall. Lankau war nicht sicher, ob er einen Schrei gehörthatte. Die Weinpresse rumpelte los und begann ihr teuflisches Werk.
In den folgenden Minuten gehorchte Lankau Gerharts Anweisungen aufs Wort. Er betete, dass der Irre nicht an der Pistolensicherung herumfummeln möge, während die Waffe auf ihn gerichtet war. Mit jedem Atemzug überlegte er fieberhaft, wie er dem Verrückten entkommen könnte.
Auf Gerharts Befehl schleifte Lankau von der Leyen ins Wohnzimmer bis hin zu der heulenden Frau. Dabei versuchte er sich zu erinnern, wo das kleine Jagdgewehr sein könnte, das seine Frau seit Jahr und Tag irgendwo versteckt hielt. Als er an den Trophäen und den exotischen Waffen vorbeikam, die an der Wand hinter der gefesselten Frau hingen, überlegte er rasch, sich unter Einsatz seines Lebens eine davon zu schnappen.
Doch Gerhart Peuckert gab ihm keine Gelegenheit dazu.
»Setz dich an den Tisch«, sagte Peuckert, kaum dass er seine Mission erfüllt hatte. Arno von der Leyen saß in sich zusammengesackt auf dem Boden, er blinzelte und versuchte, die Frau hinter sich anzulächeln.
Sehr zu seinem eigenen Missfallen stieg eine gewisse Bewunderung für Peuckerts nüchterne Kälte in Lankau auf. Sie
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