Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
Kräfte mobilisiert und war bereit, den Tisch umzustoßen.
Arno von der Leyen kam langsam auf die Knie. Er begriff ganz offensichtlich nicht, was Gerhart Peuckert von ihm wollte. Die Wunden am Rücken und in der Seite schmerzten ihn sehr. Peuckert machte keine Anstalten, ihm aufzuhelfen. Die kalte Nässe auf Lankaus Rücken ließ nach.
»Du holst jetzt das Ätznatron aus dem Küchenschrank. Auf der Flasche steht ›Ätzmittel‹. Die holst du, und ein Glas Wasser, verstanden? Und auch du keine Mätzchen, kapiert? Wird dir sowieso nicht helfen.« Arno von der Leyen kam auf die Füße und richtete sich auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht neigte er sich zur Seite und warf noch einen Blick in Peuckerts Gesicht, das keinerlei Gefühl zeigte. »Vielleicht gewähre ich dir einen gnädigeren Tod, wenn du tust, was ich sage. Und der Frau auch«, sagte Peuckert.
»Tod?« Arno von der Leyen wirkte, als müsse er erst die Alkoholnebel durchdringen. »Wovon redest du, James?«
»Ach, vergiss es doch, du Schnapsleiche!«, mischte sich Lankau ein. »Der Mann ist vollkommen geisteskrank!«
Arno von der Leyen legte das Gesicht an Peuckerts Brust. »James, ich bin es! Bryan! Ich bin gekommen, um dich zu holen! Hör mir zu!« Peuckert reagierte nicht. Da richtete von der Leyen sich ganz auf, sodass die Wunden wieder aufrissen und sich die dunklen Flecken auf seiner Kleidung vergrößerten. »Wir sind Freunde, James! Du kannst jetzt endlich wieder nach Hause. Nach Canterbury. Und Petra kommt mit.« Verwirrt und benebelt schüttelte Arno von der Leyen den Kopf. Auch er verstand nicht, was da gerade passierte.
Peuckert wandte sich zu Lankau um. »Er weigert sich, dir deinen Drink zu mixen.«
»Verstehe ich.« Der Hohn übertönte die Verzweiflung in Lankaus Stimme. Seine Hände hatten den Tisch perfekt im Griff.
»Und du glaubst nicht, dass ich ihn davon überzeugen kann?«
»Man weiß nie.«
»Schreibst du?«
»Nein, verdammt noch mal!«
Gerhart schritt auf die Frau zu und stieß dabei von der Leyen um. Sie zitterte, als Gerhart sie ansah, und wich so weit zurück, wie ihr das in ihrem Zustand möglich war. Wie Gräben durchfurchten die schwarzen Ränder unter ihren Augen ihr Gesicht. »Dann muss ich eben andere Maßnahmen ergreifen, wenn du mir nicht hilfst«, sagte er langsam.
»Ätznatron?«, fragte Arno von der Leyen matt. »Wieso?« Er zuckte zusammen, als Gerhart zuschlug und die Frau laut aufschluchzte.
»Immer noch nicht?«, fragte Peuckert. Arno von der Leyen schüttelte sachte den Kopf und fuhr abermals zusammen, als seine Frau zum zweiten Mal geschlagen wurde.
»Nun tu doch endlich, was er sagt, Bryan!«, schrie sie plötzlich so inbrünstig, dass sie dabei spuckte. Ihr Ausbruch ließ Lankau das Blut in den Adern gefrieren. »Jetzt mach schon!« Von der Leyen sah sie an. Sie lehnte sich zur Seite und rang um Atem. Peuckert hatte sie auf die Brust geschlagen.
Langsam richtete sich von der Leyen auf.
Lankau versuchte, die Situation mit Fassung zu tragen. Mit jedem Atemzug nahm der Schmerz am Zwerchfell zu. Der Tisch lag mit seinem vollen Gewicht auf seinen Handflächen und den behaarten Unterarmen. Als die beiden neben ihm standen, sah er zu ihnen auf. »Willst du deinem Freund nicht die Fesseln lösen?«, fragte er Gerhart und lächelte schwach. »Dann werden wir ja sehen, ob er überhaupt in der Lage ist, ein Glas zu halten.«
Peuckerts blaue Augen waren hellwach. Er musterte Lankau einen Moment. Es dauerte eine ganze Weile, bis er den Knoten an von der Leyens Gürtel mit einer Hand gelöst hatte – in der anderen hielt er weiterhin die Pistole. Lankau lehnte den Oberkörper nach hinten und spannte den gesamten Körper an, er konzentrierte sich darauf, den Tisch genau in Arno von der Leyens und Gerhart Peuckerts Richtung zu befördern.
Der Überraschungseffekt, als Lankau aufsprang und den Tisch von sich schleuderte, war enorm. Reflexartig entsicherte Peuckert die Pistole, kam aber nicht mehr dazu, einen Schuss abzufeuern. Der schwere Tisch brachte die Männer zu Fall und begrub sie unter seinem immensen Gewicht. Die Shiki Kenju landete in der Tür zum Flur. Noch ehe die beiden Engländer versuchen konnten, sich von ihrer Bürde zu befreien, war Lankau bereits aufgesprungen.
Er brüllte triumphierend und rannte am Tisch vorbei, um die Pistole an sich zu reißen.
Doch dann war es aus. Ein für alle Mal.
»Stopp.« Mehr brauchte sie nicht zu sagen.
Ihm gegenüber stand Petra.
Ihr Blick sprach Bände.
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