Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
reagierte nicht, sondern sah gleichgültig dabei zu, wie Bryan langsam in die Bewusstlosigkeit glitt. Wahnsinn und Rache waren eins geworden.
Laureen krallte sich in Petras Arm und trat einen Schritt zur Seite. Im selben Moment, als Laureen einen verzweifelten Versuchunternehmen wollte, ihren Mann zu retten, stürzte Petra mit erhobenem Messer auf Gerhart zu. Laureen erstarrte. Wenn Petra Gerhart verletzte oder gar tötete, würde auch sie nicht weiterleben können. Da richtete Gerhart die Pistole auf ihr Gesicht. Er folgte ihrem Blick, sah von Petra zu Laureen, von Laureen zu Petra. Petra hörte seine Warnung nicht. Erst als sie ihm so nah war, dass sie mit dem Messer fast an seine Kehle heranreichte, bemerkte sie seinen Blick und ließ das Messer fallen.
Die Ohrfeige, die sie ihm gab, geriet so behutsam wie die einer mahnenden Mutter. Gerhart packte Petras Hand und knetete sie so lange, bis sie sich ganz entspannt hatte. Dann ließ er sie los, sah Petra tief in die Augen, ließ die Pistole fallen und taumelte auf den Rasen. Reglos blieb er dort stehen.
Petra war hin- und hergerissen, wem sie sich nun zuerst zuwenden sollte: Gerhart oder dem bewusstlosen Mann zu ihren Füßen. Laureen war bereits zu Bryan gestürzt und hatte seinen Kopf in ihren Schoß gebettet.
»Setz ihn auf!«, befahl Petra und steckte Bryan ohne zu zögern den Finger in den Hals. Laureen musste die Arme um seinen Bauch legen und fest zudrücken. Beim dritten Anlauf klappte es. Bryan hustete heftig und entledigte sich der weißen Klumpen. Sein Gesicht war blau angelaufen. »Wir müssen ihm helfen«, rief Petra und zeigte Laureen, wie sie das tun konnte. Sie überstreckte Bryans Kopf, hielt ihm die Nase zu und versuchte, ihm durch Mund-zu-Mund-Beatmung wieder zu einer normalen Atmung zu verhelfen.
Hinter ihnen auf dem Rasen stöhnte Gerhart und sank auf die Knie.
Petra war sofort bei ihm. »Gerhart! Es ist vorbei!« Schluchzend nahm sie seinen Kopf in beide Hände, streichelte und küsste ihn.
Sie lächelte ihn an und strich ihm immer wieder über die Wange, nannte ihn zärtlich Gerhart, James, Erich. Er warleichenblass, sein Blick war leer. Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich. Er zeigte keine Reaktion.
»Gerhart!«, rief sie noch einmal und schüttelte ihn, doch er reagierte nicht. Sie hatte ihn wieder verloren. Er hatte sich erneut in sich selbst verkrochen und war dabei, im Nichts zu verschwinden.
Am Beckenrand, nur wenige Meter entfernt, wurde Laureen förmlich davon überrumpelt, wie schnell ihr Mann wieder zu sich kam. Schlagartig wurde er wach, war aber noch genauso betrunken wie vorher. Er lächelte, als er sie sah, und zog sie an sich. Er schien keine Ahnung zu haben, wie verklebt seine Gesichtshaut gerade war. Laureen ließ seine Küsse zu und lachte und weinte und schlang die Arme um ihn.
Petra und James standen lange reglos da. Als Petra das nächste Mal zu Laureen sah, streckte diese suchend die Hand nach der Pistole aus. Als sie sie gefunden hatte, stand sie vorsichtig auf und zog ihren Mann mit sich. Erst als Petra ein stilles Gebet sprach, ließ Laureen die Waffe zu Boden fallen.
Bryan sah sich mit einem Blick um, als registrierte er zum ersten Mal, wo er sich befand. Dann torkelte er auf das Paar auf dem Rasen zu. Keinen halben Meter von ihnen entfernt ging er in die Knie und kippte vornüber, bis er an ihnen lehnte. Dann drehte er das Gesicht seines alten Freundes zu sich. James leistete keinen Widerstand.
Bryan beugte sich zu ihm und sprach ihm direkt ins Ohr. Petra ließ Gerhart los und schlug die Hände vors Gesicht.
»James, James, hörst du mich?« Mit der Nasenspitze stupste er James gegen die Wange. Der Geruch des Freundes war ihm fremd. »Sprich mit mir, James, bitte! Komm schon, James! Sag was!« Er nahm James’ Gesicht in beide Hände und schüttelte seinen Kopf. Klatschte ihm auf die Wangen. »Nun sag schon was!« Als Petra sich aufrichtete und ihn wegschob, ließ Bryan es geschehen.
Petra schlang erneut die Arme um den Geliebten. Doch weder Gerhart noch Erich noch James reagierte.
Laureen sah Petras Verzweiflung und ließ endlich auch ihren eigenen Tränen freien Lauf. Bryan legte sich rücklings ins taufeuchte Gras und begann plötzlich zu lachen – er lachte und lachte, immer lauter, und dann pfiff er im Rausch eine Melodie.
Wort für Wort war das Lied wieder da. Das Lied, das sie als Jungen zu ihrem erkoren hatten: »I don’t know what they have to say, it makes no
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