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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Beruhigungsspritze, und der Riegel des Fensterladens wurde ausgetauscht.
     
    Eine Zeitlang nahm das nächtliche Geflüster wieder zu.
    Der schmächtige Dieter Schmidt war davon überzeugt, dass Oberführer von der Leyen alles über sie und ihre Zukunftspläne wusste. Sie müssten etwas unternehmen, verlangte er.
    Aber der pockennarbige Kröner schärfte ihnen ein, dass in Zukunft im Krankenzimmer keine Übergriffe mehr geschehen dürften. Ihre Situation würde sich schon bald ändern. Das Kriegsglück war auf Seiten der Alliierten. Der Krieg konnte schon sehr bald vorbei sein.
    Ein liquidierter Arno von der Leyen würde ihnen nur endlose Verhöre einbringen. Wussten er und Lankau nicht, was ein Verhör bedeutete? Niemand würde auf Dauer schweigen können und niemand würde davonkommen.
    Auch sie nicht.
    »Wenn ihr etwas herausbekommen wollt, dann drückt ihm in die Augen oder fest in den Gehörgang. Aber achtet darauf, dass er nicht schreit, verstanden?«
    Nacht für Nacht hörte James, wie sein Freund weinte und vor Schmerzen aufstöhnte. Aber Bryan sagte kein Wort. Die Simulanten waren verwirrt.
    Und James konnte nichts tun. Einmal würde das Katz-und-Maus-Spiel ein Ende haben, das wusste er aus eigener Erfahrung.
    Kröner schob die Unterlippe vor und sah von Bryan zu James. »Verrückt oder nicht. Hauptsache, sie kapieren, dass wir sie umbringen, wenn sie nicht spuren. Was sie vielleicht verstehen oder vielleicht nicht verstehen, ist mir scheißegal.«
    Der Schmächtige schüttelte den Kopf. »Arno von der Leyen weiß über alles Bescheid, sage ich euch! Und der Postbote wird verlangen, dass er weggeschafft wird.«
    »Aha!« Kröner stutzte. »Und wie soll das vonstattengehen?«, fragte er spöttisch. »Via Telepathie?« Kröner lächelte nicht. Der Postbote war wie ein Phantom, das alle Vorteile auf seiner Seite hat. »Glaubst du nicht selbst auch, dass er längst über alle Berge ist? Vielleicht hat er seinen treuen kleinen Schildknappen längst vergessen. Und was geht das dich an, Herr Hauptsturmführer? Du bist doch auch nur so ein Idiot, ein elender kleiner Judenplünderer. Sind wir das nicht alle?«
    »Wart’s ab.« In Dieter Schmidts Augen glomm ein seltsamer Funke.
     
    »›David Copperfield‹! Heute nehme ich mir ›David Copperfield‹ vor.« James presste den Kopf ins Kissen. Es war still im Raum. Als Kind hatte er das Buch begeistert gelesen, und er war seither immer der Meinung gewesen, ›David Copperfield‹ sei Dickens’ Meisterwerk. Auch die Werke anderer großerAutoren hatten in James’ Erinnerung tiefe Spuren hinterlassen, von Victor Hugo, Swift, Defoe, Emile Zola, Stevenson bis Kipling und Alexandre Dumas. Aber Charles Dickens und sein ›David Copperfield‹ überstrahlten alle anderen.
    In den Nachmittagsstunden, wenn die Krankenschwestern reichlich zu tun hatten, gab er sich so gut es ging den tröstenden Erinnerungen hin.
    Und Ruhe brauchte er für diese Nachdichtungen. Verwirrung und diffuse Gedanken waren inzwischen seine schlimmsten Widersacher. Die Tabletten, diese ekelhaften Chlorpräparate, verkleisterten sein Erinnerungsvermögen allmählich mehr als die Elektroschocks.
    Bereits bei der Einleitung der Geschichte bemerkte James, dass er nicht mehr zurechtkam. Er konnte sich nicht an die Namen erinnern, sie waren weg. Wie hieß noch mal Copperfields zweite Frau, seine Freundin aus Kindertagen? James grübelte lange. Die erste Ehefrau hieß Dora. Hieß die zweite Emily? Nein. Elizabeth?
    Panik keimte in ihm auf, dass sein Erinnerungsvermögen mittlerweile dauerhaft Schaden genommen haben könnte. Diese unglücklichen Überlegungen wurden unterbrochen, weil zwei Pfleger in den Raum kamen und in die Hände klatschten. »Ihr sieben sollt hier weg. Sammelt eure Sachen ein, ihr kommt nach oben!«, riefen sie und nahmen die Krankenblätter aus den Hüllen.
    Dann scheuchten sie die Patienten nach draußen auf den Gang. An ihrer Stelle wurden neue Männer in das Krankenzimmer geführt. Schwester Petra lächelte James zu und errötete.
    Vonnegut brachte sie weg. Eine entsetzliche Konstellation. Die drei Peiniger, er und Bryan, der Rotäugige und der Kalendermann. Fünf Simulanten isoliert beisammen.
    »Es geht voran mit den Herren, sagt der Oberarzt.« Dass Vonnegut da seine Zweifel hatte, war ihm anzusehen. »Siesollen von den anderen weg. Dann werden sie sich umso besser erholen, sagt er. Oben ist ein Saal frei geworden. Sind alle weg, zurück an die Front.«

22
    ALS ALLERERSTES

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