Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
geordnet wie möglich überstanden war. So war es bei vielen seiner Geschäftsreisen gewesen, und so wollte sie es auch diesmal halten.
Wenig begeistert legte sie Bryan also am nächsten Tag den Reiseplan und die Flugtickets vor – und war nicht sonderlich überrascht, als er ihr mitteilte, er habe nun doch beschlossen, dem Olympischen Komitee abzusagen. Er wolle nicht mit nach München.
In der folgenden Nacht schlief er so unruhig wie schon seit Jahren nicht mehr.
30
ERLEICHTERT, NUN DOCH nicht verreisen zu müssen, stürzte sich Laureen bereits am frühen Morgen freudig in die Vorbereitungen für ihre Silberhochzeit im Herbst.
Kaum war Bryan aus dem Haus, nahm sie Maß für neue Gardinen. Zwei Stunden später rief das Olympische Komitee in seinem Büro an. Bryan gab Mrs. Shuster ein Zeichen, die Tür zu schließen. Dass das Komitee ein weiteres Mal versuchte, ihn zu überzeugen, war ungewöhnlich.
»Es tut mir leid, aber wir sind gerade dabei, europaweit ein neues Schmerzmittel gegen Magengeschwüre einzuführen. Bei der Entwicklung unserer Verkaufsstrategie und der Auswahl unserer Vertriebspartner bin ich leider unabkömmlich.«
Damit beendete er das Gespräch. Im Prinzip stimmte das. Sein Unternehmen war im Begriff, eine neue Verkaufsoffensive zu starten, und brauchte daher neue Agenturen. Nur hatte Bryan in der gesamten Firmengeschichte noch nie persönlich an der Auswahl von Verkäufern oder Zwischenhändlern teilgenommen.
Um seiner Notlüge wenigstens einen Hauch von Wahrheit zu verleihen, wich er diesmal von der Regel ab.
Ken Fowles, der Leiter der Logistikabteilung, hatte von den fünfzig potenziellen Zwischenhändlern lediglich zehn zu einem Gespräch eingeladen. Am Ende sollten vier von ihnen für jeweils ein genau abgestecktes geographisches Gebiet zuständig sein. In Bryans Augen waren alle Bewerber gleich gut. Er ergriff in den Gesprächen nur selten das Wort.
Zwar gebot es die Höflichkeit, dass Fowles seinen Chef inden kurzen Pausen nach seiner Meinung fragte. Aber dass letztlich Fowles die Entscheidungen treffen würde, daran herrschte kein Zweifel.
Am zweiten Tag erschien ein Bewerber namens Keith Welles zum Vorstellungsgespräch. Er erwies sich als munterer Herr, der das Gespräch trotz des Ernstes der Situation mit Humor führte. Er kam als Letzter an die Reihe und hatte fast den ganzen Tag warten müssen. Es war Fowles deutlich anzumerken, dass seine Wahl nicht auf diesen rotwangigen Herrn fallen würde. Skandinavien, Deutschland, Österreich und die Niederlande waren viel zu wichtige Vertriebsgebiete, als dass Fowles sie einem Mann überlassen würde, mit dem er nicht auf einer Wellenlänge war.
»Was ist denn in Ihrem früheren Verkaufsgebiet schiefgelaufen?«, schaltete Bryan sich in das Gespräch ein.
Welles sah ihm in die Augen. Er schien mit dieser Frage gerechnet zu haben, nur nicht von Bryan. »Das hatte viele Gründe. Als in Hamburg lebender Ausländer muss man Produkte verkaufen, die besser sind als alle anderen. Sind sie das nicht, kommen die Deutschen lieber mit einem Ausländer, der in Bonn wohnt, ins Geschäft, oder noch besser, mit einem Deutschen, der im Ausland lebt. So ist das nun mal in Deutschland.«
»Und Ihre Produkte waren nicht besser?«
»Besser?« Achselzuckend wandte er den Blick von Bryan ab. »Sie waren absolut vergleichbar mit allen anderen Produkten. Auf meinem Gebiet hat es in den letzten Jahren keine Neuentdeckungen oder Wunder gegeben.«
»Psychopharmaka?«
»Ja, genau. Neuroleptika.« Welles lächelte entschuldigend und fuhr fort: »Die Zeiten ändern sich. Chlorpromazinpräparate sind bei der Behandlung von Psychosen heutzutage nicht mehr das Nonplusultra. Und ich habe nicht aufgepasst. Zum Schluss waren meine Lager zu groß, die Außenständenoch größer und die Wahrscheinlichkeit, das Produkt doch noch zu verkaufen, verschwindend gering.«
Ken Fowles rutschte ungeduldig auf dem Stuhl herum. Bryan konnte sich an das Präparat erinnern, das Welles auf Fowles Nachfrage hin nannte. Er kannte viele Namen für dasselbe Mittel. Largactil, Prozil. Sie enthielten alle den gleichen Wirkstoff: Chlorpromazin. Etliche Patienten im Alphabethaus hatten als Versuchskaninchen für ein stark an Chlorpromazin erinnerndes Medikament herhalten müssen. Er spürte noch heute, achtundzwanzig Jahre später, die Nachwirkungen des Vorläuferpräparates. Und das, obwohl er während der zehn Monate im Alphabethaus die Einnahme der Tabletten soweit wie
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