Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
selbstverständlich erstatten, Mr. Welles. Aber vielleicht kann ich trotzdem etwas für Sie tun. Wie lange sind Sie noch im Hotel?«
»In zwei Stunden muss ich zum Flughafen.«
»Können wir uns vorher noch sehen?«
Die Pension in Bayswater reichte nicht im Entferntesten an den Standard heran, den Bryan seinen Angestellten bei Übernachtungen auswärts zugestand. Zwar gab es in dem eleganten Stadtteil mehr Pensionen als in der City Banken, aber Welles war es dennoch gelungen, sich die schäbigste Herberge von allen auszusuchen.
Welles wartete bereits in der Lobby. Solange er sich unbeobachtet fühlte, war ihm die Enttäuschung anzusehen. Als Bryan ihn ansprach, setzte er sogleich wieder die heitere Maske auf.
Er war unrasiert und begrüßte Bryan etwas unbeholfen, aber Bryan mochte ihn, und er brauchte ihn.
»Ich habe Ihnen eine Arbeit besorgt, Mr. Welles. Sollten Sie und Ihre Familie sich doch überwinden können, nach Bonn zu ziehen, erwartet Sie dort ab Mitte nächsten Monats eine Stelle. Der Zulieferer eines unserer Lieferanten sucht einen Pharmazeuten mit Englischkenntnissen für die Verwaltung. Sie sind genau der Mann, den die Firma sucht. Man wird Ihnen eine Dienstwohnung in der Nähe des Rheins zur Verfügung stellen, zwei Kilometer außerhalb. Anständiges Gehalt und Betriebsrente. Was sagen Sie?«
Welles kannte die Firma. Die strahlende Maske fiel und sein Gesicht verriet Verwirrung und Erstaunen. Dabei war er an sich nicht leicht aus der Fassung zu bringen.
»Sie können sich dafür bei mir revanchieren, Mr. Welles.«
Er runzelte die Stirn. »Solange ich nichts Illegales tun oder singen muss …« Schon scherzte er wieder.
»Als Sie mir gestern erzählten, dass Sie nach dem Krieg in Deutschland Krankenhäuser inspizierten, erwähnten Sie, dass Sie psychiatrische Einrichtungen in Augenschein genommen haben. In diesem Zusammenhang seien Sie auch in Süddeutschland unterwegs gewesen. Richtig?«
»Ja, mehrfach sogar.«
»Auch in der Gegend rund um Freiburg?«
»Im Breisgau? Ja, ich war ziemlich viel in ganz Baden-Württemberg unterwegs.«
»Ich interessiere mich ganz besonders für ein Sanatorium – oder eigentlich eher ein Lazarett – nördlich von Freiburg, am Rande des Schwarzwalds, in der Nähe von Herbolzheim. In dem Krankenhaus waren ausschließlich S S-Soldaten untergebracht. Und es gab dort eine Station mit Geisteskranken. Sagt Ihnen das irgendetwas?«
»Es gab – und gibt – so viele Sanatorien in Freiburg.«
»Ja, aber ich meine eines nördlich von Freiburg. Ziemlich groß. Oben in den Bergen. Eine ganze Anlage aus mindestens zehn großen Gebäuden.«
»Sie wissen nicht zufällig noch, wie es hieß?«
»Manche nannten es ›Das Alphabethaus‹, mehr weiß ich nicht. Und dass dort nur Angehörige der SS aufgenommen wurden.«
»Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Mr. Scott. Während des Krieges wurden Unmengen von Reservelazaretten eingerichtet. Und das alles ist schon so lange her. Manchmal musste ich mehrere Krankenhäuser an einem Tag besichtigen. Es ist einfach zu lange her, ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern.«
»Aber Sie könnten es doch versuchen, oder?« Bryan beugte sich vor und sah ihn direkt an. Welles hielt Bryans Blick mit wachen, intelligenten Augen stand. »Fliegen Sie zurück nach Deutschland, reden Sie mit Ihrer Familie und regeln Sie alles. Dafür haben Sie zwei Tage Zeit. Danach machen Sie sich auf den Weg nach Freiburg und stellen dort bis zum Antritt Ihrer neuen Stelle Nachforschungen für mich an. Für Ihre Mühen werde ich Sie natürlich angemessen entschädigen und selbstverständlich sämtliche Auslagen übernehmen.« Bryan nickte. »So können Sie sich bei mir revanchieren.«
»Und wonach genau suche ich? Soll ich einfach nur das Lazarett finden, von dem Sie gerade sprachen?«
»Nein. Das Lazarett wurde Anfang 1945 dem Erdboden gleichgemacht. Ich suche einen Mann, den ich dort kannte.«
»Im Lazarett?«
»Ja. Ich war selbst Patient in diesem Lazarett. Am 23. November 1944 bin ich von dort geflohen. Die genauen Umstände werde ich Ihnen später mal erzählen. Der Mann, den ich suche, blieb zurück, und ich habe ihn seither nie wieder gesehen. Ich möchte wissen, was mit ihm passiert ist. Im Lazarett war er als Gerhart Peuckert registriert. Alles, was Sie sonst noch wissen müssen – militärischer Rang, Aussehen und so weiter – werde ich Ihnen in den nächsten zwei Tagen zukommen
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