Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
meine Schwester. Und plötzlich holte er aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. So fest er konnte. Ich gab keinen Mucks von mir, weil ich es einfach nicht fassen konnte. Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, jemanden zu schlagen. Er war der Typ, der meiner Schwester Mixtapes mit handbemalten Hüllen schenkte – bis er sie schlug und zu weinen aufhörte.
Noch seltsamer aber war, dass auch meine Schwester keinen Mucks von sich gab, sondern ihn einfach nur ruhig ansah. Das war wirklich verrückt – meine Schwester dreht regelmäßig durch, wenn man die falsche Sorte Thunfisch isst, und dieser Typ schlägt sie, und sie sieht ihn einfach nur an. Ganz freundlich. Dann bat sie mich, sie allein zu lassen. Was ich auch tat. Und später, als der Junge weg war, teilte sie mir mit, dass sie jetzt zusammen »ausgingen«
und ich Mom und Dad nicht sagen dürfe, was passiert war.
Dieses eine Mal war er nicht eingeknickt … Und irgendwie ergibt das wohl Sinn. Irgendwie.
Von da an verbrachte meine Schwester viel Zeit mit diesem Jungen. Und sie lachten sehr viel, mehr als früher. An einem Freitagabend kurz darauf las ich in meinem Zimmer ein neues Buch, aber irgendwann wurde ich vom Lesen müde und beschloss, unten etwas fernzusehen. Ich machte die Tür zum Wohnzimmer auf, und da lagen meine Schwester und der Junge auf dem Sofa, beide nackt.
Er lag auf ihr, und sie hatte ihre Beine weit von sich gestreckt. Und sie zischte mich wütend an:
»Hau ab, du Perversling!«
Also ging ich wieder. Am nächsten Tag sah sich die ganze Familie das Footballspiel meines Bruders an. Und meine Schwester lud den Jungen dazu ein. Keine Ahnung, wann er die letzte Nacht gegangen war. Sie hielten Händchen und benahmen sich, als ob nichts geschehen wäre. Und der Junge sagte, dass das Footballteam wirklich nicht mehr dasselbe sei, seit mein Bruder aufs College ging, und mein Vater dankte ihm dafür. Und als der Junge weg war, sagte Dad, dass das ein »feiner junger Mann« sei, der wisse, wie man sich benimmt. Und meine Mutter sagte gar nichts. Und meine Schwester sah mich an, um sicherzugehen, dass ich nichts verriet. Und das war’s dann.
»Ja, das ist er.« Mehr bekam meine Schwester nicht raus. Und ich sah den Jungen vor mir, wie er zu Hause seine Schulaufgaben machte und an meine nackte Schwester dachte. Und ich sah sie beide vor mir, wie sie bei Footballspielen,
die sie überhaupt nicht interessierten, Händchen hielten. Und den Jungen, wie er auf einer Party in die Büsche kotzte. Und meine Schwester, wie sie sich damit abfand.
Und sie taten mir beide ziemlich leid.
Alles Liebe,
Charlie
18. September 1991
Lieber Freund,
ich habe bisher nicht erwähnt, dass ich an der Highschool Werken belege, oder? Also, ich belege Werken, und es ist mein absoluter Lieblingskurs, zusammen mit Englisch bei Bill. Gestern Abend habe ich den Aufsatz über »Wer die Nachtigall stört« geschrieben, und heute Morgen habe ich ihn abgegeben. Morgen Mittag will Bill mit mir darüber reden.
Was ich aber eigentlich erzählen wollte, ist, dass es in Werken einen Jungen gibt, der »Nichts« heißt. Kein Witz. Sein Name ist »Nichts«, und der Typ ist zum Schreien. Ich glaube, er ist im letzten Jahr, seinen Spitznamen hat er aber noch von früher. Die Kinder nannten ihn damals »Patty«, obwohl er eigentlich »Patrick« heißt. Und »Nichts« sagte zu ihnen: »Passt auf, ihr nennt mich entweder Patrick oder nichts.«
Also begannen die Kinder, ihn »Nichts« zu nennen. Und der Name blieb irgendwie hängen. Er war damals neu an der Schule, weil sein Vater eine Frau aus der Gegend geheiratet hatte. Ich setze ab jetzt keine Anführungszeichen mehr um Nichts’ Namen, denn es nervt und unterbricht meinen Schreibfluss. Ich hoffe, das verwirrt Dich nicht allzu sehr. Ich gebe mir Mühe, immer klarzumachen, was ich im Zweifelsfall meine.
Nichts lieferte in Werken heute hinten an der Schleifmaschine eine wirklich lustige Parodie auf unseren Lehrer Mr. Callahan ab. Er hatte sich mit Wachsmalstift sogar dessen struppige Koteletten aufgemalt. Zum Schreien. Als Mr. Callahan ihn dabei erwischte, musste er selbst lachen, weil die Parodie nicht gemein war oder so was, sondern einfach nur komisch. Ich wünschte, Du wärst dabei gewesen – ich habe nicht mehr so gelacht, seit mein Bruder weggezogen ist. Mein Bruder hat immer Polenwitze erzählt, was man natürlich nicht tun sollte, aber ich habe den Teil mit den Polen immer ignoriert und auf die Pointe gehört.
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