Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
verhielten sich die Lehrer mir gegenüber ganz anders und gaben mir bessere Noten, obwohl
ich nicht schlauer geworden war. Offenbar habe ich sie alle etwas nervös gemacht.
Michaels Beerdigung war seltsam, weil sein Vater überhaupt nicht weinte. Und drei Monate später verließ er Michaels Mutter. Jedenfalls hat das Dave erzählt. Ich denke manchmal darüber nach und frage mich, was daheim bei Michael los gewesen ist, beim Abendessen, beim Fernsehen. Michael hinterließ keinen Abschiedsbrief, zumindest zeigten uns seine Eltern nie einen. Vielleicht hatte er ja wirklich »Probleme daheim« gehabt. Ich wünschte, ich wüsste es. Vielleicht könnte ich ihn dann besser vermissen. Vielleicht würde dann alles Sinn ergeben. Einen traurigen Sinn.
Auf jeden Fall frage ich mich seither, ob ich auch »Probleme daheim« habe, aber es kommt mir so vor, als ob es eine Menge Leute viel schwerer haben als ich. So wie damals, als der erste Freund meiner Schwester anfing, mit einem anderen Mädchen rumzumachen, und meine Schwester das ganze Wochenende über weinte.
Mein Vater sagte damals: »Es gibt Menschen, die es viel schwerer haben.«
Und meine Mutter sagte gar nichts. Und das war’s dann. Einen Monat später lernte meine Schwester einen anderen Jungen kennen und hörte wieder fröhlichere Musik. Und mein Vater ging wie immer zur Arbeit. Und meine Mutter putzte wie immer. Und mein Bruder bastelte wie immer an seinem Camaro. Das heißt, bis er zu Beginn des Sommers ans College ging. Er spielt Football an der Penn State und brauchte diesen Sommer, um dafür seine Noten aufzubessern.
Ich glaube nicht, dass es in unserer Familie ein Lieblingskind gibt. Wir sind drei Geschwister, und ich bin der Jüngste. Mein Bruder ist der Älteste. Er ist ein ziemlich guter Footballspieler und verrückt nach seinem Auto. Meine Schwester ist sehr hübsch und gemein zu Jungs. Ich kriege nun genauso gute Noten wie meine Schwester, und deshalb lassen mich alle in Frieden.
Meine Mutter weint oft, wenn sie fernsieht. Mein Vater arbeitet viel und ist ein wirklich anständiger Mensch. Meine Tante Helen sagte früher immer, Dad sei zu stolz für eine Midlifecrisis. Ich habe erst jetzt verstanden, was sie damit meinte, denn er ist gerade vierzig geworden, und alles ist wie immer.
Tante Helen war mir der liebste Mensch auf der ganzen Welt. Sie war Moms Schwester. Sie schrieb gute Noten als Teenager und gab mir immer Bücher zum Lesen. Dad meinte, dass ich ein wenig zu jung für diese Bücher sei, aber ich mochte sie, also zuckte er nur mit den Schultern und ließ mich sie lesen.
Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Tante Helen bei ihrer Familie, weil ihr etwas Schlimmes passiert war. Damals wollte mir niemand sagen, was genau, obwohl ich es wirklich wissen wollte. Erst als ich etwa sieben war, hörte ich auf, danach zu fragen, denn ich fragte, wie kleine Kinder eben fragen, und irgendwann brach Tante Helen in Tränen aus.
Da gab mir Dad eine Ohrfeige und sagte: »Du verletzt die Gefühle deiner Tante!« Und das wollte ich nicht, also hörte ich auf zu fragen. Tante Helen sagte Dad, er solle mich nie wieder in ihrer Gegenwart schlagen, und Dad
sagte, dies sei sein Haus, und er könne hier tun und lassen, was er wolle, und Mom sagte gar nichts und mein Bruder und meine Schwester auch nicht.
An viel mehr kann ich mich nicht erinnern, weil ich danach ziemlich stark geweint habe, und nach einer Weile sagte Dad zu Mom, sie solle mich auf mein Zimmer bringen. Erst viel später – und nach ein, zwei Gläsern Weißwein – hat mir meine Mutter erzählt, was ihrer Schwester passiert war. Manche Menschen haben es wirklich schwerer als ich. Viel schwerer.
Wahrscheinlich sollte ich jetzt schlafen gehen. Es ist schon spät. Ich weiß gar nicht, warum ich Dir das alles geschrieben habe. Eigentlich wollte ich Dir nur sagen, dass morgen die Highschool beginnt – und ich Angst davor habe, hinzugehen.
Alles Liebe,
Charlie
7. September 1991
Lieber Freund,
ich mag die Highschool nicht. Das Essen kriegt man hier im »Ernährungscenter«, was schon mal sehr seltsam ist. In meinem Englischkurs ist dieses Mädchen: Susan. Noch vor einem Jahr in der Mittelschule hat es mit Susan wirklich viel Spaß gemacht. Sie mochte Filme und hat uns immer
diese tolle Musik mitgebracht, die ihr Bruder Frank ihr aufgenommen hat. Aber im Sommer hat sie ihre Zahnspange rausbekommen und ist ein wenig größer und hübscher geworden und hat Brüste gekriegt. Und jetzt benimmt
Weitere Kostenlose Bücher