Das alte Kind
für ein tolles Leben Sie hätten führen können, wenn Sie nur gewollt hätten? Sie wären nicht der Erste, der so endet.« Cedric hatte die Wasserflasche auf- und wieder zugedreht, ohne davon zu trinken.
»Ich bin noch nicht so alt, dass wir vom Ende sprechen müssen«, wehrte sich Ben.
»Sie sind auch kein einundzwanzigjähriger Hochschulabsolvent mehr.« Wieder drehte er die Flasche auf und zu.
»Ist was nicht in Ordnung?« Ben zeigte auf die Flasche.
»Kohlensäure«, sagte Cedric und musterte mit hochgezogenen Augenbrauen die Küchenstühle. »Falls es in Ihrer Wohnung einen sauberen Platz gibt, würde ich mich gerne setzen, und dann erzähle ich Ihnen, worum es geht.«
»Soll ich erst noch einen Dampfreiniger kaufen, oder geht’s mit dem Sofa?«, knurrte Ben ihn an. Eine andere Sitzgelegenheit gab es in dem winzigen Wohn- und Arbeitszimmer nicht. Abgesehen von einem klapprigen Klavierhocker, den Ben als Bürostuhl benutzte.
»Kein Dampfreiniger.« Cedric setzte sich vorsichtig auf die Mitte. »Ich schicke Ihnen morgen meine Putzfrau. Passt es ab acht?«
Ben lachte. »Erzählen Sie.«
»Das war kein Scherz mit der Putzfrau.«
»Erzählen Sie.«
»Meine Stiefmutter hat ein Kind bekommen. Von meinem Va ter.«
Ben blinzelte erstaunt. »Ihr Vater ist seit zwei Jahren spurlos verschwunden. Was hab ich verpasst?«
»Dasselbe wie ich. Er hat offenbar seinen Samen einfrieren lassen für den Fall, dass er irgendwann einmal mit ihr Kinder haben will. Vorzugsweise zu einer Zeit, in der er zu alt für Sex ist. Wenn er keine Lust mehr auf seine junge Frau hat, kann sie ruhig schwanger werden und sich um den Nachwuchs kümmern.« Und wieder drehte er den Flaschenverschluss auf und zu, doch diesmal sah es nach Nervosität aus.
»Moment. Sie hat vor Kurzem erst das Kind bekommen?«
Cedric nickte. »Einen Jungen. Die DNS-Analyse liegt auch schon vor: Es ist in der Tat sein Sohn, mein Halbbruder.«
»Glückwunsch.«
»Vor allem, wenn man das Testament in Betracht zieht. Mein Vater kann erst in fünf Jahren für tot erklärt werden, aber dann würde das Kind genauso erben wie ich. Seine Frau ist im Testament nicht vorgesehen. Hätte sie ein Mädchen bekommen, wäre das Erbe übrigens deutlich schmaler ausgefallen. Mein Vater bestand auf männlichen Nachkommen, da war er etwas eigen.«
»Ach, Ihr Vater war etwas eigen«, grinste Ben.
Cedric lächelte nicht. »Das Einzige, wovon er Panikattacken bekam, war der Gedanke, sein Name könne aussterben. Und bei mir hatte er da keine besonders großen Hoffnungen, dass ich die Blutlinie, wie er es nannte, fortsetze. Um zum Punkt zu kommen: Ich habe den Verdacht, dass Andrew Chandler-Lytton bei dieser Schwangerschaft die Finger im Spiel hatte. Bevor er bei ImVac eingestiegen ist, war er in der Embryonenforschung tätig. Und ich vermute, dass er dieser Frau geholfen hat, zum rechten Zeitpunkt ein männliches Kind zu bekommen.«
»Moment, das ist aber jetzt ein bisschen wild, was Sie da so…«, begann Ben verblüfft.
Cedric hob eine Hand. »Warten Sie’s ab. Und schreiben Sie am besten mit. Ich kann Ihnen eine ganze Liste von Namen nennen, durch die sich mein Verdacht überhaupt erst geregt hat.«
Stirnrunzelnd nahm sich Ben Stift und Zettel.
»Lady Hargrave. Sie und ihr Mann haben über zehn Jahre versucht, ein gesundes Kind zu bekommen. Die Presse hat das Drama minutiös verfolgt, aber Lord Hargrave konnte verhindern, dass allzu intime Details veröffentlicht wurden. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie mehrfach Abgänge hatten, weil die Föten nicht gesund waren. Zweimal hat sie abgetrieben, weil eine schwere Behinderung abzusehen war, die das Kind vermutlich nicht überlebt hätte. Irgendwann wurde bekannt, dass sowohl sie als auch er rezessive Gene einer seltenen Erbkrankheit hatten. Ein gesundes Kind zu bekommen wäre ein Lotteriespiel. Dann war zwei oder drei Jahre lang Ruhe, sodass alle dachten, sie hätten es aufgegeben. Letztes Jahr wurde sie schwanger. Nun haben sie ein gesundes Kind ohne weitere dramatische Zwischenfälle bekommen. Lady Hargrave ist Patientin von Shannon Chandler-Lytton.« Cedric stellte die Flasche auf dem Boden ab, griff in die Innentasche seiner Anzugjacke und legte ein Foto von Lord und Lady Hargrave mit ihrem Baby auf den Tisch. Ein zweites Bild mit einem anderen Ehepaar folgte.
»Max und Caroline Guthrie. Sie haben vier Töchter, wünschen sich aber nichts mehr als einen Sohn. Schon bei der ersten Schwangerschaft waren sie, sagen wir
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