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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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sagte sie anstelle einer Begrüßung.
    Also viele Kinder, okay. »Ich bring erst meine Koffer nach oben«, murmelte Ben und ging die Treppe hinauf zu seinem alten Zimmer, das er sich mit seinen Brüdern geteilt hatte, bis John ins Wohnzimmer ausgewichen war. Nicht, dass es zu zweit in dem kleinen Raum mehr Privatsphäre gegeben hätte. Nur ein bisschen mehr Platz. Aber Steve hatte genau wie vorher John jeden Tag unter Bens Matratze nachgesehen, ob er dort etwas versteckte, und seine Hosentaschen auf Kleingeld durchsucht.
    Beim Essen ging es zunächst wild durcheinander. Die vielen Kinder schrien herum, die beiden Frauen, die Steve und John mitgebracht hatten – sie unterschieden sich kein bisschen von denen, mit denen sie früher ausgegangen waren –, versuchten ohne Erfolg, ihre Kinder zu zähmen, seine Brüder klagten über die Regierung im Allgemeinen und die Welt im Besonderen, sein Vater nuschelte unfreundliche Kommentare in seinem breiten Dialekt, den selbst seine Söhne nur mit Mühe verstanden, weil er sich aus Trotz über die Minenschließungen immer stärker an die Aussprache und das Vokabular des Pitmatic klammerte. Pitmatic, vor einer Generation noch die Sprache dieser Gegend, geprägt von den Minenarbeitern, die so ihre Zusammengehörigkeit kennzeichneten. Heute sprachen es nur noch die Alten. Seine Mutter schwieg wie üblich. Sie verteilte das Essen auf die Teller, trug Töpfe vom Herd zum Tisch. Auch Ben schwieg, bis sein Vater ihn fragte: »Wie lange bleibst du?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ein, zwei Wochen, bis ich woanders ein Zimmer gefunden habe. Nicht länger, keine Sorge.«
    Sein Vater brummte. »Wir machen uns darüber ganz sicher keine Sorgen.«
    Auch eine Art, ihn willkommen zu heißen. »Danke.«
    »Was ist das für ein Job?«, fragte sein Vater zwischen zwei Bissen.
    »Als Chauffeur«, antwortete er wahrheitsgemäß.
    Steve ließ seine Gabel auf den Teller fallen. »Warum machst du den Chauffeur? Du kannst auch was anderes arbeiten. Du hättest mir was davon sagen sollen! Ich hab Ahnung von Autos!«
    »Du hast nach deiner Ausbildung keinen einzigen Tag als Automechaniker gearbeitet«, sagte Ben ruhig. »Und ich wusste außerdem gar nicht, dass du neuerdings arbeiten willst.«
    »Wir bekommen ein Kind«, sagte Steves blondierte Freundin. Vor zwanzig Minuten hatte Ben sie noch rauchen sehen, jetzt trank sie ein Bier zum Essen.
    »Hat jemand einen groben Überblick, zum wievielten Mal ich Onkel werde?«
    Seine Brüder dachten angestrengt nach. Nur sein Vater verstand die Beleidigung und knurrte ihn an.
    »Ich war arbeitslos, warum hätte ich den Job nicht annehmen sollen?«, sagte Ben leichthin.
    »Neun«, sagte John. »Neun Kinder.«
    »Ich dachte, du warst freiberuflich, oder wie heißt das?« Steve.
    »Ja, und das lief nicht so, wie es hätte laufen sollen.«
    »Sie haben dich rausgeschmissen, oder? Jemand hat gesagt, sie haben dich bei der Zeitung in Schottland rausgeschmissen.« Steve grinste zufrieden.
    »Die Zeitung ist wegen eines Artikels, den ich geschrieben hatte, verklagt worden. Die Klage wurde abgewiesen. Ich fand es aber eine gute Idee, mich eine Weile in den Redaktionsräumen rarzumachen.« Ben fragte sich, wieso er eigentlich versuchte, sich zu verteidigen. Seine Brüder hatten nie viel für ihn übriggehabt. Er, der Kleine, hatte ihnen ihr Scheitern Tag für Tag vor Augen gehalten. Während die meisten ihrer Freunde ebenfalls den Schulabschluss nicht geschafft hatten – größtenteils lag es an Faulheit und Desinteresse, weniger an mangelndem Intellekt –, zog Ben an ihnen vorbei, bekam ein Stipendium für die Durham School, eine teure, traditionsreiche Privatschule, später ein Stipendium für sein Studium. Er verdiente sein eigenes Geld, hatte Freunde, die sich für was Besseres hielten, lebte in großen Städten zwischen Leuten, die sich für was Besseres hielten, gehörte nicht mehr dazu, weil er sich für was Besseres hielt. Was irgendwie auch stimmte. Abgesehen davon, dass er nie wirklich in der anderen Welt angekommen war, weil ihn seine Herkunft nicht losließ, egal, wie selten er mit seiner Familie sprach.
    »Wegen eines Artikels«, äffte John ihn nach. »Ich hoffe, dem feinen Herrn fallen nicht die Ohren ab, wenn er uns zuhören muss.«
    Ben verdrehte nur die Augen.
    »Und wieso bist du jetzt Chauffeur?«, fragte sein Vater grimmig. »Und musst hier wohnen?«
    »Es ist nur vorübergehend. Ich fahre jemanden, bei dem es gute Aussichten auf bessere Stellen

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