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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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Ja sagen. Schlafen Sie noch einmal über die ganze Sache, und wir reden morgen weiter.« Dann war er gegangen. Die Wasserflasche stand noch immer auf dem Boden, ohne dass Cedric daraus getrunken hätte.
    Als Ben am nächsten Morgen um acht Uhr von Cedrics Putzfrau aus dem Bett geklingelt wurde, hatte er sich entschieden, und nun, zwei Wochen später, war er offiziell Andrew Chandler-Lyttons Chauffeur, ohne die geringste Ahnung, wie er aus dieser Position heraus irgendetwas für Cedric herausfinden sollte.

Berlin, Januar 1980
     
    Carla hatte am Fenster gewartet. Als sie das Taxi die Straße entlangfahren sah, eilte sie zur Haustür, um Dr. Ingram zu empfangen. Sally bezahlte und trug eine schlafende Fliss hinter ihm her. Sie machte kleine, vorsichtige Schritte durch den Schnee.
    Als sie allein in der Bibliothek waren, bestätigte der Amerikaner seine Ferndiagnose. »Meine deutschen Kollegen haben alle erforderlichen Tests gemacht, es gibt keinen Zweifel mehr. Sie haben jetzt sicher Angst vor dem, was mit Ihrer Tochter passiert?«
    »Sie ist nicht meine Tochter. Sie ist…ein Pflegekind.«
    »Ja, man sagte mir schon so etwas«, erwiderte er zerstreut, während er die langen Buchreihen abging, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er war so anders, als Carla ihn sich vorgestellt hatte. Einen älteren Herrn hätte sie erwartet. Einen mit jahrzehntelanger Forschungserfahrung, zugleich aber einer beruhigenden väterlichen Ausstrahlung. Jonathan Ingram war kaum älter als sie, wenn überhaupt, und sah eher aus wie ein Börsenmakler von der Wall Street. Schlank, blass, sauber gescheiteltes Haar, teurer grauer Maßanzug. Er schien sich nicht bewusst zu sein, dass sie verstört auf ihn reagierte, schrieb dies vermutlich ihrer allgemeinen Verfassung zu.
    »Wissen Sie, Schuldgefühle sind in diesen Fällen ganz normal. Alle Eltern reagieren so, wenn sie erfahren, dass ihr Kind eine schwere Krankheit hat. Und es ist auch ein normaler Prozess, dass man eine Weile die Schuld anderswo sucht.« Er blieb stehen, sah sie aber nicht an. »Mrs Arnim, es ist mir egal, ob Fliss ihre leibliche Tochter ist oder nicht. Das interessiert mich nicht, da das Hutchinson-Gilford-Syndrom unseres Wissens nach nicht vererbt wird. Ich sage Ihnen, was nun passieren wird: Ich will Fliss in gewissen Abständen untersuchen. Ob ich dafür nach Berlin komme oder ob Sie sie zu mir bringen, wird sich zeigen. Ich bin sicher, wir finden Mittel und Wege. Wir können an ihrem Zustand nichts ändern, aber wir können versuchen, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Es gibt ein paar Dinge, die Sie unbedingt wissen müssen. Und ich meine jetzt nicht, welche Medikamente Sie ihr wann und wie zu geben haben.«
    Carla wusste, was nun kam. »Sie meinen, ich muss darauf vorbereitet sein, dass sie ein Pflegefall wird? Sich nicht selbst anziehen kann, ihr kurzes Leben lang gefüttert werden muss, geistig zurückbleibt…«
    »Ganz und gar nicht. Fliss wird immer ein Kind sein, das besondere Aufmerksamkeit fordert. Aber es ist nicht so, wie Sie denken. Wir wissen noch nicht, woran es liegt, aber Kinder mit Progerie sind oft sehr intelligent. Um die Schulnoten müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie bringen auch ein erstaunlich sonniges Gemüt mit. Und oft habe ich den Eindruck, diese Kinder sind nicht nur sehr klug, sondern auch sehr weise. Die Forschungsliteratur bestätigt meinen Eindruck.« Er sah sie endlich an, wie um zu prüfen, welche Reaktion sie auf seine kleine Rede zeigte.
    Sie war vor allem verwirrt.
    »Sie haben mit etwas anderem gerechnet, nehme ich an. Lassen Sie sich Zeit, Sie haben sehr viel, worüber Sie nachdenken müssen. Darf ich fragen, wo Ihr Mann ist?«
    Carla brauchte eine Sekunde, bis es ihr einfiel. »Er ist in Graz. Bei Bekannten. Er…ist sehr sensibel.«
    »Ja, ein Pianist, ich habe von ihm gehört.« Jonathan Ingram lächelte und sah so aus, als dächte er sich seinen Teil. »Jeder flieht auf seine Art vor der Realität.«
    Sie war so erstaunt über diesen Satz, dass sie ganz vergaß, etwas zu erwidern. Minuten mussten verstrichen sein, bevor Ingram sagte: »Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie das alleine durchstehen. Ho len Sie sich Hilfe. Rufen Sie eine Freundin an. Nehmen Sie sich eine Auszeit. Man sagte mir, dass Sie einen sehr anstrengenden Beruf haben. Können Sie sich vertreten lassen?«
    »Ich will mich nicht vertreten lassen«, sagte sie leise.
    Er nickte. »Ich kann Ihnen keine Vorschriften machen. Meine Arbeit ist

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