Das alte Königreich 01 - Sabriel
warst.«
Sabriel sprang ihn an. Ihr Schwert sprühte weiße Funken, als sie es ihm durch die Brust stieß, dass es am Rücken herausdrang. Doch Kerrigor lachte bloß und langte hinab, bis er die Klinge mit beiden Händen hielt und seine Fingerknöchel sich bleich vom silbern funkelnden Stahl abhoben. Sabriel zog am Schwert, konnte es seinem Griff jedoch nicht entwinden.
»Kein Schwert kann mir etwas anhaben«, erklärte Kerrigor mit einem Kichern, das wie der Husten eines Sterbenden klang. »Nicht einmal eines, das die Mauermacher schmiedeten, schon gar nicht jetzt, da ich endlich die letzte ihrer Kräfte erworben habe – eine Kraft, die herrschte, ehe die Chartermacht die Mauer erbaute. Jetzt habe ich sie! Ich habe diese zerbrochene Marionette, meinen Halbbruder, und ich habe dich, Abhorsen. Macht und Blut – Blut für das Brechen der Steine!«
Er schob das Schwert tiefer in seine Brust. Sabriel wollte loslassen, aber er war zu schnell, und schon legte sich eine eisige Hand um ihren Unterarm.
»Möchtest du schlafen, bis die Großen Steine für dein Blut bereit sind?«, flüsterte Kerrigor. Sein Atem stank immer noch nach Aas. »Oder willst du jeden Schritt des Weges wach sein?«
Sabriel starrte zurück und begegnete zum ersten Mal seinem Blick. War da nicht ein winziger Funken blendendes Weiß in dem Höllenfeuer seiner Augen? Sie öffnete ihre linke Faust und spürte, wie der Silberring ihren Finger entlangglitt.
»Was ist dir lieber, Abhorsen?«, fuhr Kerrigor fort. Seine Lippen rissen auf, die Haut brach an den Mundwinkeln. Der Geist in seinem Innern ließ selbst dieses auf magische Weise erhaltene Fleisch zerfallen. »Dein Liebster kriecht auf uns zu… ein lächerlicher Anblick… aber der nächste Kuss gehört mir…«
Der Ring hing in Sabriels Hand, die hinter ihrem Rücken verborgen war. Er war tatsächlich schon ein wenig größer geworden, doch immer noch spürte sie, wie das Metall sich dehnte.
Kerrigors aufgesprungene Lippen näherten sich ihrem Mund, der Ring in ihrer Hand wuchs weiterhin. Kerrigors Atem war schier unerträglich und stank nach Blut. Sabriel drehte im letzten Augenblick den Kopf zur Seite und spürte trockenes, leichengleiches Fleisch über ihre Wange gleiten.
»Ein schwesterlicher Kuss«, kicherte Kerrigor. »Ein Kuss für einen Onkel, der dich seit deiner Geburt kennt – oder schon etwas zuvor. Aber das genügt mir nicht…«
Wieder waren seine Worte nicht bloß dahergesagt. Sabriel spürte, wie eine Kraft ihren Kopf packte und ihn zu sich zurückriss, während er den Mund wie in leidenschaftlicher Erwartung aufriss.
Doch ihr linker Arm war frei.
Kerrigors Kopf beugte sich vor, sein Gesicht näherte sich ihr… und plötzlich blitzte Silber zwischen ihnen, und der Ring lag um seinen Hals.
Sabriel spürte, wie der Zwang schwand, und sie lehnte sich zurück, um wegzuspringen, doch Kerrigor ließ ihren Arm nicht los. Er schien überrascht, doch nicht verängstigt. Seine Rechte fuhr hoch, um den Reifen zu betasten; dabei fielen ihm die Fingernägel ab, und der bleiche Knochen schob sich durch seine Fingerspitzen.
»Was ist das? Ein Relikt aus…«
Der Reif zog sich zusammen, schnitt durch die schwammige Substanz seines Halses und legte die dichte Finsternis darunter offen. Auch sie wurde zusammengepresst, nach innen gezwungen und pulsierte, als sie zu fliehen versuchte. Zwei Flammenaugen starrten ungläubig auf Sabriel hinab.
»Unmöglich«, krächzte Kerrigor. Knurrend stieß er Sabriel von sich und schleuderte sie zu Boden. Zugleich zog er das Schwert aus seiner Brust; die Klinge kam mit einem Laut wie beim Abschleifen von Hartholz frei.
Schnell wie eine Schlange hatte er Arm und Schwert ausgestreckt und stach zu – durch Sabriel, durch ihre Rüstung und ihren Bauch und tief hinein in die Holzdielen. Greller Schmerz explodierte in Sabriel. Sie schrie, während ihr Körper sich um die Klinge wand und zuckte.
Kerrigor ließ sie liegen wie einen aufgespießten Schmetterling in einem Schaukasten und näherte sich Touchstone. Durch die vor Schmerz verschleierten Augen sah Sabriel, wie Kerrigor ein langes, einem Speer ähnliches Stück Holz von einer Bank riss.
»Rogir«, rief Touchstone. »Rogir…«
Mit einem würgenden Wutschrei stieß Kerrigor den Speer hinab. Sabriel schaute weg und schloss die Augen, versank in einer eigenen Welt voller Schmerz. Natürlich wusste sie, dass sie etwas gegen ihre Blutung tun musste, aber jetzt, da Touchstone tot war, rührte sie
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