Das alte Königreich 01 - Sabriel
Leib bebten.
Hinter diesen Männern kamen einige der schwer gerüsteten und gepanzerten Soldaten vom Korridor herein. Sie hatten sich noch einigermaßen unter Kontrolle. Statt sich ebenfalls zu verkriechen, warfen sie sich herum und legten den schweren Riegel vor die Tür.
»Er ist schon durch den Eingang!«, rief einer von ihnen Sabriel zu. Es gab keinen Zweifel, wen er mit »er« meinte.
»Schnell, die Letzten Riten!«, befahl Sabriel. Sie löste ihre Hände, streckte sie über der lebenden Leiche aus und bildete in ihrem Geist die Zeichen für Feuer, Läuterung und Friede. Sie blickte den Körper nicht zu genau an, aber auch sie sah, dass Rogir einem schlafenden, wehrlosen Touchstone sehr ähnelte.
Sie war müde, und der Körper wurde immer noch durch Freie Magie geschützt, doch das erste Zeichen hing bald in der Luft. Touchstone hatte die Hand auf ihre Schulter gelegt und übertrug seine Kraft auf sie. Andere aus dem Ring waren ebenfalls herbeigekommen und hatten sich wieder an den Händen gefasst – und plötzlich spürte Sabriel den ersten Hauch von Erleichterung. Sie würden es schaffen! Kerrigors menschlicher Körper würde zerstört werden – und mit ihm der größere Teil seiner Macht…
Da brach die gesamte Nordwand ein. Ziegel flogen durch die Luft, roter Staub blies herein und warf wie eine gewaltige Welle alles und jeden nieder.
Sabriel lag hustend auf dem Boden und schrammte sich die Knie auf, als sie aufzustehen versuchte. Staub und Sandkörnchen reizten ihre Augen, sämtliche Laternen waren erloschen.
Blindlings tastete sie um sich, doch da war nur die immer noch heiße Bronze des Sarkophags.
»Der Blutpreis muss bezahlt werden«, tönte eine knisternde, nicht menschliche, bekannte Stimme. Doch es war nicht die Kerrigors – es war die furchtbare Stimme, die Sabriel in jener Nacht in Heiligenhall gehört hatte, als der Papiersegler verbrannt war.
Heftig blinzelnd kroch Sabriel zur anderen Seite des Sarkophags. Die Stimme sprach nicht sogleich wieder, aber Sabriel hörte am Knistern und Summen, dass die Kreatur näher kam.
»Ich muss mich meiner letzten Bürde entledigen«, sagte das Wesen. »Dann ist die Abmachung erfüllt und ich kann mich der Vergeltung zuwenden.«
Wieder blinzelte Sabriel, Tränen strömten ihr über die Wangen. Ihr Sichtvermögen kehrte nur langsam zurück, und das Bild, das sie sah, war gezeichnet von Tränen und dem ersten Schein des Mondes, der durch die geborstene Wand fiel – ein Bild, das verschwommen war vom roten Staub pulverisierter Ziegel.
Alle Sinne schrien in ihrem Innern. Freie Magie, die Toten, Gefahr ringsum…
Das grauenvolle Geschöpf, das einst Mogget gewesen war, brannte keine fünf Schritt entfernt. Es sah gedrungener aus als beim letzten Mal, doch ebenso missgestaltet: ein plumper Körper, der allmählich auf einer Säule wirbelnder Energie auf Sabriel zukam.
Plötzlich sprang ein Soldat auf und stieß seinen Säbel tief in den Leib der Kreatur. Sie merkte es kaum, doch der Soldat schrie entsetzt auf und brannte plötzlich lichterloh. Binnen weniger Sekunden hatten die Flammen ihn verschlungen, während sein Säbel geschmolzen auf den Boden fiel und die dicken Eichendielen versengte.
»Ich bringe dir Abhorsens Schwert«, sagte die Kreatur. Sie ließ einen länglichen Gegenstand, der nur verschwommen zu erkennen war, auf eine Seite fallen. »Und die Glocke Astarael.«
Diesmal bückte sich die Kreatur behutsam, und die silberne Glocke glitzerte flüchtig, ehe sie in der dicken Staubschicht verschwand.
»Komm her, Abhorsen. Es ist lange her, seit wir begonnen haben.«
Jetzt lachte die Kreatur; es klang, als würde man ein Schwefelholz anreißen. Dann machte sie sich daran, den Sarkophag zu umkreisen. Während Sabriels Gedanken sich wie rasend überschlugen, lockerte sie den Ring um ihren Finger und machte ein paar Schritte zur Seite, um ihren Gegner in einigermaßen sicherem Abstand zu halten, getrennt durch den Sarkophag. Kerrigor war sehr nahe, doch vielleicht blieb immer noch Zeit, diese Kreatur in Mogget zurückzuverwandeln und die Letzten Riten zu vollenden…
»Halt!«
Das Wort war wie ein Peitschenhieb. Macht steckte dahinter. Gegen ihren Willen blieb Sabriel stehen, genau wie das flammende Wesen. Sie versuchte an ihm vorbeizuschauen, schirmte die Augen ab und bemühte sich zu erkennen, was sich am anderen Ende der Aula tat. Nicht dass sie eine Bestätigung gebraucht hätte…
Kerrigor stand dort. Die Soldaten, welche die Tür
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