Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
Vom Netzwerk:
irgendwann wirst du sowieso mal anfangen müssen, jemanden zu küssen.«
    Sabriel starrte Mogget an und fragte sich, ob seine Worte ein weiteres Anzeichen seiner durch die Katzenminze verursachten Verrücktheit waren. Doch er schien nüchtern zu sein und meinte es offenbar ernst.
    »Ein Atemzug?«, vergewisserte sie sich. Sie wollte keinen hölzernen Mann küssen. Er sah zwar nett aus, doch der Schein konnte trügen. Und ein Kuss erschien ihr zu intim. Vielleicht würde der Mann von falschen Voraussetzungen ausgehen…
    »So?«, fragte sie, holte tief Luft, beugte sich vor und atmete ein paar Zoll vor der Nase und dem Mund des Mannes aus. Dann trat sie zurück, um zu sehen, was sich tat – falls überhaupt.
    Es tat sich nichts.
    »Katzenminze!«, rief Sabriel und blickte Mogget an. »Du solltest nicht…«
    Ein leiser Laut ließ sie verstummen. Ein keuchender Laut, der nicht von Mogget oder ihr kam. Die Galionsfigur atmete; Luft pfiff zwischen den geschnitzten Lippen hervor wie von einem alten, kaum noch brauchbaren Blasebalg.
    Der Atem wurde kräftiger. Farbe durchströmte die Statue, und das stumpfe Holz bekam den Glanz jugendlicher Haut. Die geschnitzte Brust wurde geschmeidig; sie hob und senkte sich, als der junge Mann zu keuchen begann wie nach einer großen körperlichen Anstrengung.
    Dann schlug er die Augen auf. Es waren schöne graue Augen, aber verschwommen und blicklos. Er schien Sabriel gar nicht wahrzunehmen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und öffneten sich wieder, und seine Füße bewegten sich, als würde er auf der Stelle laufen. Schließlich löste sein Rücken sich vom Schiffsrumpf. Er machte einen Schritt nach vorn und fiel in Sabriels Arme.
    Sie half ihm rasch, sich auf den Boden zu legen, denn ihr war nur zu bewusst, dass sie einen nackten jungen Mann umarmte – allerdings unter ganz anderen Umständen, als sie es sich mit ihren Freundinnen in der Schule ausgemalt hatte.
    »Danke«, sagte der junge Mann mit schwerer Zunge wie ein Betrunkener. Seine Augen richteten sich jetzt zum ersten Mal auf Sabriel – oder vielmehr auf ihren Waffenrock. »Abhorsen«, fügte er hinzu.
    Dann schlief er ein. Seine Mundwinkel waren nun leicht hochgezogen und er wirkte sehr viel harmloser als zuvor. Er sah jünger aus, als aus der starren Galionsfigur zu schließen gewesen war.
    Sabriel blickte auf ihn hinunter und versuchte, nicht auf die beinahe liebevollen Gefühle zu achten, die sie plötzlich empfand. Sie waren jenen nicht unähnlich, die sie veranlasst hatten, Jacinths Kaninchen ins Leben zurückzuholen.
    »Ich sollte ihm wohl eine Decke bringen«, murmelte sie widerstrebend, während sie sich fragte, was in aller Welt sie veranlasst hatte, in ihrer ohnehin verwirrenden und schwierigen Lage auch noch diese Erschwernis auf sich zu nehmen. Sie würde den jungen Burschen wohl in Sicherheit und in die Zivilisation bringen müssen – falls es irgendwo noch eine gab.
    »Ich kann eine Decke holen, wenn du ihn weiterhin anstarren willst«, erbot Mogget sich listig und stolzierte in aufreizender Pose um Sabriels Beine herum.
    Ihr wurde bewusst, dass sie den wieder belebten jungen Mann tatsächlich angestarrt hatte, und wandte rasch den Blick ab.
    »Nein, ich hole sie schon… und mein zweites Hemd. Und nach ein paar kleinen Änderungen wird ihm auch die Hose passen. Wir dürften ungefähr gleich groß sein. Halt du einstweilen Wache, Mogget, ich bin gleich zurück.«
    Mogget schaute ihr nach, wie sie davonhumpelte; dann wandte er sich wieder dem Schlafenden zu. Lautlos tapste er zu ihm und strich mit der rosa Zunge über das Chartersymbol auf seiner Stirn. Es flammte auf, doch Mogget zuckte nicht zusammen, sondern wartete ab, bis es wieder stumpf wurde.
    »So«, murmelte er und kostete seine eigene Zunge. Er schien ein wenig überrascht zu sein – und arg verärgert. Noch einmal probierte er das Symbol; dann schüttelte er abfällig den Kopf. Die Miniatur-Saraneth an seinem Halsband klingelte, aber nicht aus Freude.

     

14
    Grauer Dunst stieg kräuselnd empor, wickelte sich um ihn wie eine Schlingpflanze, erfasste Arme und Beine, lähmte ihn, würgte ihn gnadenlos, so dass eine Flucht unmöglich war. Er vermochte die Muskeln unter der Haut nicht zu spannen; nicht einmal blinzeln konnte er. Und da war nichts zu sehen als graue Flecken, die sich vor seinen Augen hin und her schoben wie vom Wind aufgewühlter Schaum auf einem stinkigen Tümpel.
    Plötzlich schob sich grelles rotes Licht davor. Schmerz

Weitere Kostenlose Bücher